02.06.2002
Normalität in Ueckermünde - Überfall auf Punks wird totgeschwiegen
Deutsche Normalität: das heißt mehrere auf einen, das heißt wegschauen, das heißt verschweigen. Etwa in Ueckermünde am Abend des 25. Mais. Eine Gruppe von 18- bis 20-jährigen Nazis überfällt dort zwei 16-jährige Punks, beschimpft sie, prügelt auf sie ein. Direkt vor einer voll besetzten Eisdiele. Doch niemand ruft die Polizei. Der Besitzer der Eisdiele meint stattdessen zu den Nazis, wie Zeugen berichten, daß sie das doch bitte nicht vor seinem Laden machen sollen, und verschließt die Tür. Die Rechten kommen freundlich der Bitte nach und verschwinden in einen nahen Wald. Um dort weiterzumachen: sie schlagen ihre Opfer, springen ihnen auf die Köpfe. Diese verlieren Zähne, erleiden Nasenbeinbrüche, Blutergüsse, Platzwunden und Abschürfungen. Erst ein anonymer Zeuge ruft, wie es in der Lokalausgabe des Nordkuriers heißt, die Polizei.
Die Eltern der Opfer sind schockiert: "Das hätte leicht mit dem Tod enden können," werden sie in der Presse zitiert. "Wir sind erschüttert und tief betroffen, wie roh und gleichgültig einige Menschen in Ueckermünde sein können." Die Polizei unterdessen hat für die Tat weniger Worte übrig. Daß sie nicht an die Presse weitergegeben wurde - was bei anderen Polizeidirektionen selbstverständlich ist - ist für sie Normalität. "Nur Verkehrunfälle und Einbrüche" kommen bei der Presse an. Was ist denn schon ein versuchter Mord?
Vielleicht genauso Normalität in Ueckermünde, wenn es nur um Punks geht? Schließlich ist in der Stadt ungestört die "National-Germanische Bruderschaft" (NGB) aktiv, eine Kameradschaft, die selbst vom Verfassungsschutz des Landes in den Jahresberichten als neonazistisch eingestuft wird. Sie beteiligte sich etwa an der Demonstration von Nazis am 23. März in Neubrandenburg oder den regelmäßigen Trauerbekundungen zum Volkstrauertag auf Usedom.
Gerade erst sind in Ueckermünde-Ost auffällig viele Fascho-Aufkleber aufgetaucht, wissen Jugendliche aus der Stadt zu berichten. Das Plattenbauviertel ist eines dieser Gebiete, in deren endlosen Garagenreihen sich Nazis gerne treffen, um bei Fascho-Musik rechter Un-Kultur zu frönen.
Darüber spricht mensch in Ueckermünde aber scheinbar nicht gerne. Weder fand in der Stadt eine Auseinandersetzung darüber statt, daß vermummte Neonazis am 8. Dezember des letzten Jahres eine Veranstaltung zu Menschenrechten und Demokratie auf dem Markt störten noch darüber, daß die NPD am 30. Oktober 2001 ihre Propaganda verteilte oder die Republikaner Anfang August 2001 von der Gründung eines Kreisverbandes herumtönten (rechtes McPomm).
So wäre auch nun wieder geschwiegen worden, hätten die Mütter der Opfer den Überfall nicht öffentlich gemacht. Dafür wird gedeckelt, wo es möglich ist: aus den Neonazis werden in der Presse mehrere "Männer", aus den Punks zwei "Jungen". Damit die Hintergründe auch weiter schwammig bleiben. Und ja nicht die Touristen dem staatlich anerkannten Erholungsort Ueckermünde, Haffbad und nordöstlichste Stadt der Bundesrepublik, ausbleiben. Denn das wäre schlimm.
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