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10. Mai 2001

Atommüll kam sicher an - Schweriner Volkszeitung

12 000 Polizisten begleiten Castor-Transport Rheinsberg - Lubmin

Greifswald (AP/dpa) Weitgehend störungsfrei hat gestern Mittag der Atommülltransport aus dem brandenburgischen Rheinsberg das vorpommersche Zwischenlager Nord (ZLN) in Greifswald-Lubmin erreicht.

Die Präsenz von jeweils etwa 6000 Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten in beiden Bundesländern und 35 Hubschrauber gewährleisteten die Sicherheit des Transports, dessen Kosten auf etwa drei Millionen Mark veranschlagt waren. Die vier Castoren mit 246 abgebrannten Brennelementen sollen im ZLN eingelagert werden.

Nur einige friedliche Demonstrationen von kleinen Gruppen der Bürgerinitiativen und Umweltverbände begleiteten den Transport an einigen Streckenabschnitten. Versuche von Sitzblockaden seien von der Polizei umgehend mit Platzverweisen unterbunden worden. Den Angaben zufolge wurden 35 Personen in Brandenburg und eine in Mecklenburg-Vorpommern kurzzeitig in Gewahrsam genommen.

Der Schweriner Innenminister Gottfried Timm zeigte sich erleichtert: "Das Tor ist zu, und der Transport ist drin."

Die Bürgerinitiativen hatten ihre gewaltfreien Proteste mit "erheblichen Sicherheitsproblemen" im Zusammenhang mit dem Transport und der Einlagerung des Atommülls ins ZLN begründet. Dieses ist nach ihrer Ansicht nicht gegen Flugzeugabstürze und Terroranschläge sicher ausgelegt. Zudem sei keine so genannte "heiße Zelle" als zusätzliche und notwendige Sicherheitsschranke eingerichtet. Die Behälter zur Unterbringung der Brennelemente seien nicht auf ihr Verhalten bei Feuer und Stürzen getestet. Zweifel bestünden ferner an ihrer dauerhaften Dichte.

Die Landesregierung befürwortete die Transporte aus Rheinsberg in das ZLN Lubmin rückhaltlos. "Dazu gibt es keine Alternative", betonte Schwerins Umweltminister Wolfgang Methling (PDS). Dies sei die logische Konsequenz aus dem vor elf Jahren erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie in Ostdeutschland. Die Umlagerung sei nicht vergleichbar mit Transporten im Westen, die dem Weiterbetrieb von Atomanlagen dienten. Auch die Befürchtungen, Lubmin könnte zum bundesdeutschen 0Atomklo werden, teilte Methling nicht.

10. Mai 2001

Alles im grünen Bereich Viel Polizei, kaum Protest - Schweriner Volkszeitung

Castor-Transport nach Lubmin verlief friedlich

Von Angela Hoffmann

Der Castor-Transport von Rheinsberg ins Lubminer Zwischenlager verlief gestern friedlich. Entlang der Strecke hatten sich nicht mehr als 100 Demonstranten eingefunden. 12 000 Polizisten behielten die 300 Kilometer langen Schienenweg seit Dienstag im Visier.

Greifswald ist grün. Zumindest an diesem Vormittag, soweit das Auge reicht. Mit den 15 Bündnisgrünen, die in Brünzow vor Lubmin einen Aktionsstand aufgestellt haben, hat das allerdings wenig zu tun. Schon eher mit dem Großaufgebot an Polizeiwagen, die auf dem gegenüberliegenden Parkplatz stehen. "Wir warten auf die Entscheidung, ob wir 1000 Luftballons steigen lassen dürfen", erklärt Jürgen Suhr, Landesvorstandssprecher von Bündnis 90 / Die Grünen. Erst eine Handvoll der schwarzen Ballons mit dem Kärtchen "Heute schon verstrahlt?" sind aufgepustet. Der Rest liegt noch im Karton. Erst müsse geklärt werden, ob die Lufteinsätze der Polizei durch die Ballons gefährdert würden, sagt ein Kommunalbeamter. Außerdem benötige man für mehr als 499 Luftballons eine Genehmigung vom Wirtschaftministerium, was Ministeriumsmitarbeiter Emil Müller dann auch per Telefon bestätigt - Demonstrieren für Fortgeschrittene. "In Gorleben wäre so eine Situation vielleicht schon eskaliert", meint Burkhard Westphal vom Bundesgrenzschutz, der mit einer Hundertschaft aus dem niedersächsischen Uelzen angereist ist. Aber Greifswald ist nun mal nicht Gorleben.

Das merken auch die 30 Mitglieder der Bürgerinitiative gegen Atomenergie, die 15 Kilometer entfernt auf dem Greifswalder Marktplatz eine spontane Mahnwache errichtet haben. "Das ist ja alles ganz gut und schön, aber wo sollen die Brennstäbe denn sonst hin?", fragt eine Passantin. Wie sie bringen die meisten Bewohner Verständnis für den Transport auf. Und das nicht nur, weil das Kraftwerk ein großer Arbeitgeber war. Die Fahrt der vier Castoren mit 246 abgebrannten atomaren Brennelementen ins Lubminer Zwischenlager dient auch dem Abbau des stillgelegten Atomkraftwerks im brandenburgischen Rheinsberg.

Zwiespalt bei den Demonstranten? "Überhaupt nicht", betont Anke Wagner von der Greifswalder Bürgerinitiative. Vielmehr gehe es darum, auf Sicherheitsdefizite im Zwischenlager aufmerksam zu machen. Ähnlich äußert sich Jürgen Suhr: "Wenn wir nicht demonstrieren, könnte außerdem der Eindruck entstehen, dass Transporte nach Lubmin eine problemlose Alternative sind."

Doch als die Castoren am Mittag nach siebenstündiger Fahrt über Neubrandenburg und Anklam mit nur 27 Minuten Verspätung auf dem Gelände der Energiewerke Nord eintreffen, ist das Wort "problemlos" schon in aller Munde. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Gottfried Timm, Gesamteinsatzleiter Klaus Wils und BGS-Einsatzführer Hans-Georg Lison gratulieren sich gegenseitig. Kaum nennenswerte Vorkommnisse, ein letzter Versuch von 30 Demonstranten, kurz vor Greifswald in die Nähe der Schienen zu gelangen - das wars. Ein mehrtägiger Einsatz mit 12 000 BGS-Beamten und Polizisten aus neun Bundesländern für etwa drei Millionen sei trotz alledem gerechtfertigt, sagt Timm. Schließlich hätte niemand wissen können, ob nicht doch ein "Gewalttourismus" einsetze.

Bei diesem Wort muss Anke Wagner schmunzeln. Die Sperrungen sind aufgehoben, sie darf die Pressekonferenz besuchen. Jürgen Suhr zieht es indessen vor, Quartier auf dem Greifswalder Marktplatz zu beziehen. Dort darf er nun doch seine Luftballons steigen lassen - zumindest 499. Hubschrauber könnten ohnehin nicht mehr irritiert werden. Sie befinden sich längst auf dem Rückflug.

Seit elf Jahren keine KKW im Osten
Ostdeutschland stieg notgedrungen schon vor mehr als einem Jahrzehnt aus der Atomenergie aus. Weil sie die bundesdeutschen Sicherheitsstandards nicht erfüllten, wurden die Kernkraftwerke (KKW) Nord in Lubmin bei Greifswald und Rheinsberg 1990 abgeschaltet und fünf Jahre später stillgelegt.

Mit einer Betriebsdauer von 24 Jahren ist der Atommeiler von Rheinsberg deutlich älter als sein Pendant in Vorpommern, der auf 17 Jahre kam. Die Rheinsberger Anlage ist das erste von der früheren Sowjetunion im Ausland gebaute KKW und das älteste in Deutschland. Es verfügte über einen Druckwasserreaktor und ging vor genau 35 Jahren am 9. Mai 1966 erstmals mit einer Leistung von 70 Megawatt ans Netz, in das es rund 130 000 Stunden lang Energie einspeiste. Neben der Stromerzeugung diente das KKW auch der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Kernenergie.

Block eins des als weltgrößtes KKW geplanten Atommeilers Lubmin nahm am 17. Dezember 1973 seine Arbeit auf. Insgesamt verfügte es über vier 440-Megawatt-Reaktorblöcke. Bei der endgültigen Abschaltung am 18. Dezember 1990 waren im KKW Nord rund 6000 Menschen beschäftigt, von denen Ende vergangenen Jahres noch 1400 übrig waren. Für die Zerlegung des KKW und damit ein technologisch weltweit einmaliges Pilotprojekt stellte der Bund 6,2 Milliarden Mark bereit.

Außerdem gab es in der DDR noch einen kleineren Forschungsreaktor in Rossendorf bei Dresden, der ebenfalls längst abgeschaltet ist. Ein weiteres Atomkraftwerk wurde seit 1974 bei Stendal gebaut. Durch die deutsche Wiedervereinigung wurde es jedoch nie vollendet.

Stichwort: die Castor-Behälter vom Typ 440/84
Beim Transport der radioaktiven Brennelemente aus dem ehemaligen Kernkraftwerk Rheinsberg in das Zwischenlager Nord von Lubmin werden Castor-Behälter des Typs 440/84 benutzt. Diese Behälter sind laut Bundesamt für Strahlenschutz für den Transport von jeweils 84 Brennelementen aus Druckwasserreaktoren russischer Bauart (WWER 440) zugelassen.

Die Castor-Behälter dieser Baureihe sind 4 Meter lang und 2,6 Meter breit. Die aus Spezialstahl bestehende Außenwand hat eine Stärke von 370 Millimetern und soll die vom radioaktiven Inhalt ausgehende Gamma- und Neutronenstrahlung abschirmen. Ein Doppeldeckelsystem mit Schutzplatte soll äußere Einflüsse wie Feuchtigkeit und Staub fern halten und bei der Zwischenlagerung den gasdichten Einschluss der Brennelemente gewährleisten. Kühlrippen an der Außenwand sind dazu gedacht, ein Aufheizen der Castoren zu verhindern. Der Castor-Behälter wurde atomrechtlich vorgeschriebenen Tests unterzogen.

10. Mai 2001

Ostseezeitung - Die große Blockade fiel aus

Castor-Transport nach Lubmin blieb von Krawalltouristen verschonte

Ein riesiges Polizeiaufgebot gegen eine kleine Schar von Atomkraftgegnern. Ohne nennenswerte Zwischenfälle erreichten die vier Castoren aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg das Zwischenlager Nord in Lubmin. Ein Happening bei strahlendem Sonnenschein für eine strahlende Fracht.

Lubmin (OZ) Erbseneintopf zum Abschluss. Nach dem Castor-Einsatz wird im Versorgungszelt des Bundesgrenzschutzes genau gegenüber vom Zwischenlager Nord in Lubmin noch mal so richtig geschlemmt. Dann erst geht's auf den Heimweg, in alle Ecken Deutschlands.

Polizei- und Grenzschutzbeamte freuen sich auf das erste freie Wochenende seit langem. "Nach den Einsätzen in Gorleben, Berlin und nun Rheinsberg/Lubmin schieben viele zwischen 250 und 400 Überstunden vor sich her, sind schon 13 Wochenenden nicht zu Hause gewesen", weiß BGS-Pfarrer Siegfried Gleißner. Er hat in den vergangenen Tagen all seine "Schäfchen" entlang der 300 Kilometer langen Castor-Strecke besucht und viele Gespräche geführt. "Die Stimmung war gut", meint der evangelische Geistliche, doch die dienstliche Beanspruchung zerre heftig an den Nerven der Beamten.

Rund 12 000 Uniformierte sind seit Tagen im Einsatz, um vier Castoren mit 246 radioaktiven Brennstäben sicher von Rheinsberg nach Lubmin zu geleiten. Mit Pistolen und Gummiknüppeln bewaffnet warten sie in den Wäldern am Gleis auf "Störer". Wasserwerfer und gepanzerte Einsatzwagen im Hinterland. Nur die Krawalltouristen, die bleiben aus.

Gestern früh 6.00 Uhr am Bahnübergang in Brünzow nahe Lubmin. Fünf einsame Bündnis-Grüne stehen mit drei Gasflaschen am Straßenrand. Sie wollen 1000 schwarze Luftballons aufblasen, und mit diesen ihren Protest gegen den Castortransport in alle Winde verschicken. Rund 50 Polizisten schauen ihnen dabei auf die Finger. Kollegen aus Niedersachsen, mit Gorleben-Erfahrung. "Hier ist es ja außergewöhnlich ruhig", staunt Hauptkommissar Eckhardt Hildebrandt aus Oldenburg. Beide Seiten gehen äußerst rücksichtsvoll miteinander um. Die einen sichern mit Blaulicht und Mannschaftswagen die Blase-Aktion, die anderen fragen höflich an, ob denn die Ballons nicht die im Einsatz befindlichen Helikopter stören könnten. Sie könnten. Prompt wird die Aktion der Grünen verboten. Landesvorstandssprecher Jürgen Suhr findet dies ziemlich überzogen und schaltet einen Rechtsanwalt ein. Schließlich Einsicht bei den Bündnis-Grünen. Die Ballons werden nach dem Castor-Einsatz in die Luft gehen.

Auf dem Greifswalder Marktplatz hat zur gleichen frühen Stunde die Bürgerinitiative Kernenergie zur Mahnwache gerufen. "Castor-Alarm - wir stellen uns quer" verspricht ein Plakat. Davor ein Häuflein junger Leute, die Transparente bemalen, Kerzen anzünden und Agitationszettel verteilen, wenn denn interessierte Leute kommen. "Wir wollen ein Zeichen im verschlafenen Greifswald setzen", sagt Anke Wagner von der Bürgerinitiative. Wäre hier nicht das Zwischen- sondern ein Endlager, wären vielleicht auch die Hansestädter etwas unruhiger, meint die 32-Jährige. "Widerstand muss in einer Region wachsen."

PDS-Landtagsabgeordneter Monty Schädel hat zu seiner Protest-Aktion etwa 20 Demonstranten um sich geschart. Mit ihnen blockiert er in der Nähe von Neubrandenburg kurzzeitig die Bundesstraße. "Wir wollten möglichst viel Polizei in Bewegung bringen und so Aufmerksamkeit für den Castor-Transport wecken", sagt Schädel noch. Das war's.

Der Zug mit den vier Atommüllbehältern indes ruckelt ohne nennenswerte Zwischenfälle durch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Am Zielbahnhof Lubmin-Mitte nehmen Kamerateams Aufstellung, Fotografen gehen in Position, Journalisten suchen das Gespräch mit Verantwortlichen. Ein Fernsehteam nutzt die Originalkulisse für die letzten Szenen eines "Tatort"-Drehs. Der Castor-Transport wird zum Medienereignis.

Dann endlich, hupend fährt die Bahn in Lubmin-Mitte ein. Mittags um eins. Mit nur 27 Minuten Verspätung. Es hat den Anschein eines Urlauberzuges, als etwa 350 Bundesgrenzschützer fröhlich aus den offenen Fenstern der Personenwaggons schauen, die die gelben Castoren einrahmen. Die mitgefahrenen BGS-ler fotografieren ihren Empfang, einige winken. Happening bei strahlendem Sonnenschein für eine strahlende Fracht.

Einsatzleiter Klaus Wils ist zufrieden. Ebenso sein Chef, Innenminister Gottfried Timm (SPD). Er verteidigt den hohen Personalaufwand auf Seiten der Polizei, der allein M-V rund drei Millionen Mark kosten wird. "Die Zahl der Einsatzkräfte war erforderlich, um auf eventuelle Anschläge und Störungen entlang der Strecke reagieren zu können", sagt Timm und schüttelt am Bahnhof zum Dank viele Beamten-Hände.

Von den rund 6000 Polizisten Mecklenburg-Vorpommerns waren gestern 3500 im Castoreinsatz. Demnächst werden sie in den Bäderdienst gehen, 14 Tage später als geplant. Alles wegen vier Atommüllbehältern.

DORIS KESSELRING

10. Mai 2001

Ostseezeitung - Friedlich nach Lubmin

Castor-Transport von Rheinsberg verlief ohne Zwischenfälle

Ohne Zwischenfälle, planmäßig und auf kürzestem Weg hat der Atommüll-Transport vom stillgelegten Atomkraftwerk im brandenburgischen Rheinsberg gestern das Zwischenlager in Lubmin bei Greifswald erreicht. Proteste blieben die Ausnahme und verliefen durchweg friedlich. Insgesamt waren 12 000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz im Einsatz. Ihnen gegenüber standen kaum 200 Atomkraft-Gegner.

Stralsund (OZ) Lediglich im ersten Abschnitt der rund 290 Kilometer langen Strecke versuchten knapp 30 Castor-Gegner, die Gleise zu blockieren. Die Polizei räumte die Strecke problemlos, der Zug passierte ohne Verzögerung und fuhr mit bis zu Tempo 80 seinem Ziel entgegen. Polizei und Demonstranten lobten einhellig die Besonnenheit auf beiden Seiten.

Vor Neubrandenburg hatten 20 Teilnehmer einer PDS-Demo kurzzeitig die Straße blockiert. Bei Lubmin verbot die Polizei eine Protest-Aktion der Grünen, die am Bahnübergang Brünzow 1000 Luftballons steigen lassen wollten. Man befürchte Gefahren für patrouillierende BGS-Hubschrauber. In Greifswald protestierten einige Menschen mit einer Mahnwache. Vor Lubmin vereitelte die Polizei einen Blockadeversuch und nahm 20 Demonstranten der Greifswalder Bürgerinitiative "Kernenergie" in Gewahrsam.

Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen war der knapp 600 Meter lange Zug mit den vier Castoren um 06.45 Uhr in Rheinsberg gestartet. Anderthalb Stunden später passierte er die Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern. In Neubrandenburg bog der Castor-Transport auf dem kürzesten Weg nach Osten Richtung Pasewalk ab. Um 13.00 Uhr, nach gut sechs Stunden Fahrtzeit, traf der Zug vor den Toren des Zwischenlagers Lubmin ein. Noch im Laufe des Nachmittags wurden die 246 abgebrannten Brennstäbe in einen Hochsicherheitsbereich umgeladen.

Die Energiewerke Nord rechnen mit Transportkosten von vier Millionen Mark. Landes-Innenminister Gottfried Timm (SPD) sagte hingegen, M-V habe für die Überführung drei Millionen Mark veranschlagt. Die Summe wurde vermutlich nicht überschritten. Hinzu kommen die Kosten für den massiven Polizeieinsatz, den der Brandenburger Chef der Polizei-Gewerkschaft, Andreas Schuster, verteidigte. Es habe zuvor zahlreiche Hinweise auf militante Aktionen von Atomkraftgegnern gegeben, sagte Schuster. Außerdem sei "nicht zwingend zu erwarten gewesen, dass die Bevölkerung hier so anders reagiert als in Gorleben".

Nicht zuletzt nutzte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) die Gunst der Stunde. Am Rande der Polizeiaktion drehte ein Kamerateam einen neuen "Tatort", in dem das Atommüllproblem eine Rolle spielen soll.

10. Mai 2001

Kommentar Ostseezeitung - Albern

Von MICHAEL MEYER

12 000 Polizisten. Vier Castoren. 40 Demonstranten hier, 20 da, ein versprengter Haufen Protestierer dort. Eine tieftraurige Mahnwache. Die üblichen Kerzen. Ein ARD-Team, das den Castor-Tansport als Kulisse für einen "Tatort" nutzt. Luftballons, die die 35 Polizeihubschrauber gefährden könnten. Gesellschaftssatire? Nein, Realität. Und zwar eine verdammt teure. Auch dieser Tansport hat Millionen gekostet.

In Lubmin wurde demonstriert. Gegen Atom-Transporte. Nun könnten Polizisten mit Gorleben-Erfahrung über das bisschen Protest höflich schmunzeln. Böse Zungen könnten meinen: Typisch M-V. Ganz schön verschlafen, die Ökos dort. Doch bei Lichte betrachtet ist selbst dieser verhaltene Protest albern. Wer gegen Atomenergie ist, kann nicht ernsthaft gegen die Lagerung von Castoren sein. Rheinsberg und Lubmin werden rückgebaut. Der Ausstieg ist beschlossen. Für eine Endlagerung ist noch keine Lösung gefunden. Zwischenlagerung ist zwar nicht die beste, aber bisher die einzige Lösung. Wo soll der Müll denn hin? In Rheinsberg bleiben? In den Keller des Bundeskanzleramtes? In die Ostsee? Alles albern. Aber um ernsthafte Lösungen scheint es auch gar nicht zu gehen.

In einem Flugblatt steht: "Sehr geehrte Damen und Herren von der Polizei, Sie sind hier, weil wir hier sind." Ach! Und warum sind Sie da? Gerade nichts Besseres zu tun? Weil Demos cool sind? Wer keine politische Aussage hat und Demonstrationen als Event missversteht, unterläuft ein hohes demokratisches Gut: Das Demonstrationsrecht. Es besteht Gefahr, nicht mehr ernst genommen zu werden.

10. Mai 2001

Atom-Zug rollt ohne Probleme nach Lubmin - Nordkurier

Kaum Proteste - Timm rechtfertigt Einsatz von 12 000 Polizisten

Neustrelitz/Neubrandenburg/Pasewalk/Lubmin (EB/AP). Der bisher größte ostdeutsche Transport von Atommüll in so genannten Castor-Behältern ist gestern weitgehend reibungslos über die Bühne gegangen. Der Zug mit den vier Castoren mit 246 abgebrannten Brennelementen aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg habe ohne größere Verspätung das Zwischenlager Nord in Lubmin erreicht, teilte die Einsatzleitung der Polizei mit.
Lediglich kurz nach dem Start und unmittelbar vor dem Ziel seien Atomkraftgegnern kurzzeitige Blockaden der Gleise gelungen, sagte Einsatzleiter Klaus Wills. Ansonsten habe es entlang der 300 Kilometer langen Bahnstrecke nur "verhaltene Proteste" gegeben, unter anderem am Bahnübergang Sponholz bei Neubrandenburg. In Greifswald hätten 30 Kernkraftgegner eine Mahnwache veranstaltet. Insgesamt seien durch die Polizei etwas mehr als 70 Platzverweise ausgesprochen und 35 Personen vorübergehend festgenommen worden.
Rund 12 000 Polizisten und Beamte des Bundesgrenzschutzes sowie phasenweise 35 Hubschrauber waren nach Angaben des Schweriner Innenministeriums zum Schutz des Castor-Transportes im Einsatz. Für Mecklenburg-Vorpommern seien durch den Transport Kosten in Höhe von etwa drei Millionen Mark entstanden, hieß es. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erklärte, die Potsdamer Landesregierung habe für den Transport etwa 12 Millionen Mark zahlen müssen. Sowohl Schönbohm als auch sein Schweriner Amtskollege Gottfried Timm (SPD) zogen eine positive Bilanz des Polizei-Einsatzes. Timm sagte, er sei mit dem Ablauf des Transports zufrieden.
Das Kernkraftwerk Rheinsberg hatte am 9. Mai 1966 den Betrieb aufgenommen. 1990 wurde es abgeschaltet.

10. Mai 2001

Tausende Beamte und kaum Gegner - Nordkurier

Wenige friedliche Proteste an der Strecke

Rheinsberg/Lubmin. Die Uhr auf dem Betriebsbahnhof Lubmin sagt, es ist Punkt 12 Uhr. Auf dem Bahnsteig schöpft eine Frau in BGS-Uniform Hühnersuppe in Plasteschüsseln. Die Ruhe, mit der gelöffelt wird, macht staunen. Immerhin, in 30 Minuten soll hier der Castor-Transport aus Rheinsberg seine Endstation erreichen. Dann muss doch wohl aufgegessen und die Suppenküche von hier verschwunden sein. Ihre Gelassenheit kommt nicht von ungefähr. Bislang, so haben sie über Funk gehört, habe es keine aufregenden Zwischenfälle gegeben. Und hier vor dem Tor, durch das die nukleare Fracht rollen soll, geht es ebenfalls friedlich zu.

Wieder grüne Wiese

Damit geht der letzte Atomtransport aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg zu Ende. Auf den Tag genau vor 35 Jahren, am 9. Mai 1966, wurde das KKW Rheinsberg als erstes deutsches Atomkraftwerk in Betrieb genommen. Bis 2009 soll das Werk vollständig abgebaut sein, ein wichtiger Schritt dorthin ist der Abtransport der 246 abgebrannten Brennstäbe. Die Betreibergesellschaft rechnet damit, dass 800 Millionen Mark investiert werden müssen, ehe auf dem Betriebsgelände wieder eine grüne Wiese wachsen kann.
Doch der letzte Transport scheint noch an diesem Morgen offensichtlich mit Schwierigkeiten zu starten. Erst mit Verspätung öffnen sich die Tore des Kraftwerkes. Ein kurzes Tuten zweier russischer Dieselloks und der Zug fährt an. Doch nicht weit. Dann wird rangiert, bis das 530 Meter lange Ungetüm auf Schienen vollständig ist - vier Lokomotiven, vier Castor-Behälter, Pufferwaggons, Material- und acht Personenwagen. In letzterem haben es sich rund 100 Bundesgrenzschutzbeamte bequem gemacht für die Halbtagesreise nach Lubmin.

Ungleiches Kräfteverhältnis

Als der Zug am Mittag einrollt, surren die Kameras. Jemand setzt offensichtlich zum Applaudieren an, lässt es dann doch bleiben. Entlang der Strecke ist schließlich auch niemandem nach Applaudieren. Aber auch nicht so recht zum Protestieren. Wenige Kilometer vor Lubmin wollen 15 Gegner des Transportes schwarze Luftballons aufsteigen lassen. Die über 30 Polizeikräfte aus Oldenburg überzeugen die Greifswalder Gruppe von Bündnis 90/Grüne, dies wegen Verletztung der Luftverkehrssicherheit nicht zu tun.
Damit ist das Kräfteverhältnis während des Strahlenmülltransportes beschrieben. Bei einem versprengten Häuflein von allenfalls 100 Atomgegnern an der Strecke beträgt das Verhältnis allein in Brandenburg, wo bislang der größte Polizeieinsatz überhaupt verläuft, sage und schreibe 60:1. Mehrfach kritisieren Transportgegner den Polizeiaufmarsch: "Wir erleben hier 300 Journalisten, 50 Demonstranten und 6000 Polizisten", meint auch einer sarkastisch.
Die Kassiererin in der Rheinsberger DEA-Tankstelle gegenüber dem Gleis ist denn auch angesichts der schier endlosen Einsatzfahrzeugkolonnen empört: "Das muss man sich einmal vorstellen, die Stadt hat 5000 Einwohner. Heute kommt auf einen Rheinsberger mehr als ein Polizist. So sicher waren wir noch nie."
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) rechtfertigt den großen Aufwand als Abschreckung.
Umso mehr bejubeln am Morgen sechs Antiatom-Aktivisten, die die ganze Nacht mit einer Mahnwache vor dem Rheinsberger Bahnhof ausgeharrt haben, die geglückte Sitzblockade zwischen Herzberg und Grieben. "25 Leute haben’s geschafft."Andreas Rauhut, Sprecher vom Antiatom-Regionalplenum Ost, hat die Nachricht soeben übers Funktelefon erhalten. "Klar werden wir den Transport nicht verhindern können", schätzt er die eigene Lage realistisch ein. "Doch wir wollen ihn so teuer wie möglich machen. Dann wird man das Zeug nicht immer hin- und herkarren und endlich Lösungen für sichere Endlager finden. Und vor allem sofort aus der Atomenergie aussteigen." Das sei ihr Ziel. Und da ist es für sie unerheblich, dass die Atomgegner schon von der Schiene getragen worden sind, bevor der Castor so recht losgefahren ist.
Einen Grund für die Ruhe entlang der Strecke nennt der Schweriner PDS-Landtagsabgeordnete Monty Schädel bei einer kleinen Protestaktion unweit von Neubrandenburg: Die Anti-Atomkraftbewegung sei "an Ostdeutschland bislang nahezu vorbeigegangen". Einige wenige Aktivisten, die hier aus dem atomtransporterprobten Wendland westlich der Elbe gekommen sind, können der Bevölkerung kaum vermitteln, welchen Sinn der Protest gegen den Abtransport aus einem stillgelegten KKW haben könnte. Dennoch plagen die Grünen in beiden beteiligten Bundesländern und auch den kirchlichen Umweltkreis aus dem brandenburgischen Menz nahe Rheinsberg Zweifel. "Den KKW-Abbau begrüßen wir, aber das Zwischenlager Lubmin ist nicht sicher genug", äußert der Menzer Pfarrer Reinhard Dalchow seine Bedenken. "Zudem kann es doppelt so viele Castoren mit Atommüll aufnehmen, wie er in den stillgelegten DDR-Kernkraftwerken anfällt."
Während kurz vor dem Ende der Fahrt noch einmal die zugbegleitenden BGS-Beamten aktiv werden müssen - 30 Mitglieder der Greifswalder Bürgerinitiative versuchen, den Zug aufzuhalten - , rollen die Polizisten in Rheinsberg den Stacheldraht neben den Gleisen ein. Dann genießen sie die wärmende Sonne. "Hier könnte man ruhig auch einmal Urlaub machen", sagt eine junge Beamtin aus Bonn.

10. Mai 2001

"Stellplatz für 80 Behälter" - Nordkurier

Zwischenlager Lubmin nimmt nur Restbestände der DDR-Kraftwerke auf

Lubmin. Den Transport der Brennelemente aus Rheinsberg nach Lubmin dürfte auch Dieter Ritscher mit Spannung verfolgt haben. Der Geschäftsführer der Energiewerke Nord, Betreiber des atomaren Zwischenlagers, ist für die nächste Zeit verantwortlich für das "Schicksal" der Castor-Behälter. Unser Korrespondent Andreas Zecher sprach mit ihm. Hatten Sie eigentlich mit einem derart reibungslosen Transport gerechnet?

Erhofft habe ich das. Meine Bedenken waren bei der Berliner Szene. Einige Gewaltbreite von dort hätten ja durchaus nach Rheinsberg ziehen können. Das haben sie ja glücklicherweise nicht getan.

Werden weitere Castoren von Rheinsberg nach Lubmin kommen?

Nein.

Wieso nicht?

Weil es dort keine weiteren Brennstäbe mehr gibt.

Und aus anderen Kernkraftwerken?

Definitiv nein. Das Zwischenlager Nord ist ausschließlich für die hochradioaktiven Restbestände der beiden früheren DDR-Kernkraftwerke Rheinsberg und Lubmin gedacht. Das ist gesetzlich festgeschrieben.

Wie setzen sich diese Restbestände zusammen?

Sie umfassen die 246 Brennelemente aus Rheinsberg, die mit diesem Transport gekommen sind, und die etwa 5000 Brennelemente aus Lubmin.

Es hat bei der Konzipierung der Castoren-Halle Bedenken gegeben, deren Dimension sei so gehalten, dass weiteres hochradioaktives Material untergebracht werden könnte.

Diese Bedenken sind aus der Luft gegriffen. In der Halle gibt es Stellplätz für 80 Castor-Behälter. Die Brennstäbe aus beiden KKW werden in 70 Castoren Platz finden. Dann haben wir noch eine zehnprozentige Raumreserve. Das ist eine normale Kalkulation.

Sind die Castoren aus Rheinsberg das erste Lagergut in der Halle?

Nein. Hier stehen bereits 9 Behälter mit Brennstäben aus Lubmin. In den nächsten 14 Tagen wird es im innerbetrieblichen Verkehr die Einlagerung von zwei weiteren Behältern geben.

Das ZLN hat die technischen und rechtlichen Voraussetzungen hier, schwach radioaktives Material von anderen Standorten passgerecht zu machen, zu "verpacken" und für insgesamt zwei Jahre zu lagern. Machen Sie Gebrauch davon.

Nein, zurzeit nicht.

Wie sicher ist das hochradioaktive Material im ZLN untergebracht?

Die Gebäude und alles Drumherum schützen die Castor-Behälter vor Witterungseinflüssen und auch terroristischen Anschlägen. Den eigentlichen Sicherheitsmantel bilden die Behälter selbst. Darin sind die Brennstäbe vor allen Eventualitäten gewappnet.

10. Mai 2001

Kumpel-Polizist verblüfft Demonstranten - Nordkurier

"Polizeiruf 110" dreht vor realer Kulisse

Horst Krause

Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Beigang
Neubrandenburg. Was ist das denn für ein Polizist? Selbst der Handvoll Atomkraftgegnern, die sich unweit von Neubrandenburg am Bahnübergang in Sponholz zum friedlichen Protest gegen den Castor-Transport versammelt haben, kommt der Dicke komisch vor. "Tach, Genossen", dröhnt der Mann mit der halboffenen Lederjacke und der auf "halb acht" sitzenden Polizeimütze. "Habt ihr auch saure Gurken hier?"
Haben sie nicht. Überhaupt, was will der hier. Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen den gut 150 anderen, zum Gutteil martialisch in voller Einsatzbekleidung herumstehenden Beamten, und jenem jovialen Polizisten. Die jungen Leute, die sich hier um den PDS-Landtagsabgeordneten Monty Schädel versammelt haben, sind irritiert. Noch mehr, als der Mann von ihnen wissen will, warum sich hier nicht mehr Gegner des Transportes versammelt haben. Fragt so ein Polizist, der sie doch eigentlich in Schach halten soll?Dann zieht der Lederbejackte wieder von dannen.An seiner Seite eine zierliche Dame, die bekannt vorkommt.
Die Demonstranten sind verblüfft. Dann fällt der Groschen: Das ist doch ein Schauspieler. Eben der, der so oft den "Dorfsheriff" gibt. Na klar.Der Mann heißt Horst Krause und dreht hier, wie seine Kollegin Jutta Hoffmann, für einen "Polizeiruf 110". Hintergrund des Filmes soll der CastorTransport sein und was lag da näher, statt aufwendig mit Hunderten Comparsen zu drehen, die reale Kulisse zu nutzen. Mit "richtigen" Polizisten, "richtigen" Demonstranten und knatternden Hubschraubern am Himmel. Und dem echten Brennstäbe-Zug im Hintergrund, der kurz vor halb elf den Bahnübergang passiert. Realer geht es nimmer. Wann der Krimi ausgestrahlt wird, weiß noch keiner zu sagen. Hoffentlich aber ist der spannender als der reale Castor-Transport.

10. Mai 2001

Kommentar - Keine Alternative - Nordkurier

Der Reisende, der sich am späten Nachmittag auf den Weg von Rheinsberg nach Lubmin macht, ist länger als zwölf Stunden unterwegs - wenn er die Bahn nutzt. Der Castorzug hat gestern für diese Strecke lediglich die halbe Zeit benötigt und damit eine kaum erwartete Leistungsfähigkeit des ostdeutschen Schienennetzes offenbart. Allerdings zum Preis von mindestens zehn Millionen Steuer-Mark.
Auch wenn angesichts des nahezu reibungslosen Transports der abgebrannten Brennelemente an den Greifswalder Bodden das eingesetzte Polizeiaufgebot reichlich überdimensioniert wirkte, gab es keine Alternative zu diesem Großeinsatz. Gewarnt durch die Schlachten am niedersächsischen Zwischenlager Gorleben, haben die Behörden dem Frieden nicht getraut und auf Masse gesetzt. Und hätte es unterwegs tatsächlich bei gefährlichen Zwischenfällen "geknallt", die zuständigen Innenminister in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wären ihres politischen Lebens nicht mehr froh geworden. Zudem steht fest, dass langwierige Blockaden oder aufreibende Zusammenstöße zwischen Polizei und militanten Atomgegnern die Kosten erst recht in Schwindel erregende Höhen hätten steigen lassen.
Die Aufforderung "X1000malquer" hat in Ostdeutschland nicht gezündet. Der einmalige Transport ausgedienter Kernbrennstäbe von einem stillgelegten Atommeiler in ein Zwischenlager, das sich an einem weiteren abgeschalteten Nuklearkraftwerk befindet, ist in der Bevölkerung auf weitgehende Akzeptanz gestoßen. Deshalb blieben im Gegensatz zum niedersächsischen Wendland, das sich wegen des Lagers Gorleben als Atomklo der Nation missbraucht fühlt, die Demonstranten ein isoliertes Häuflein. Sollte aber irgendwann, irgendjemand auf die Idee kommen, entgegen allen Zusicherungen in Greifswald-Lubmin mehr Atommüll abzustellen als bisher vorgesehen, ist auch im vermeintlich so verschlafenen Nordosten bald die Hölle los.

Jörg Spreemann

10. Mai 2001

Castor hält kurze Zeit auf dem Bahnhof - Nordkurier, Lokalausgabe Neubrandenburg

Brücke für Fußgänger und Radler dicht

Neubrandenburg. Mehrere Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes kreisten gestern gegen 9.45 Uhr über Neubrandenburg. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Castor die Viertorestadt in Kürze erreichen sollte.
Auf der Bahnhofsbrücke Demminer Straße war seit den Morgenstunden eine Hundertschaft der Bremer Polizei stationiert. Um 9.50 Uhr sperrten die Beamten den Fußgängerverkehr und jeweils eine Autofahrspur. Das Hubschraubergedröhn verstärkte sich, und dann tauchte in langsamer Fahrt der Castor-Zug in der Gleiskurve Richtung Oststadt auf. Zwei Loks zogen, zwei schoben ihn. Auf Höhe des Güterbodens kam der Transport zum Stehen. Der Castor in Neubrandenburg.

Bürger schütteln den Kopf

Insgesamt handelte es sich um vier gelbe Wagons von wenig spektakulärem Aussehen. Davor und dahinter befanden sich Personenwagen mit Begleitpersonal und Bundesgrenzschutz. Wenig später ruckte der Castor-Transport an und zuckelte rückwärts auf das Pasewalker Gleis stadtauswärts. Drei Minuten später war er nicht mehr zu sehen. "Das war die ganze Herrlichkeit", meinte ein Bremer Beamter locker und gab die Brücke für Fußgänger und Radler frei. Ein älteres Ehepaar aus dem Vogelviertel schüttelte dennoch den Kopf. Nicht aus Angst vor dem Castor, sondern dass soviel Aufhebens mit ihm gemacht werde. "Die hätten den Zug nachts nach Lubmin fahren sollen und basta", sagte der Mann.
Der Bundesgrenzschutz zeigte auch am Bahnhof Präsenz. Gegenüber Einsätzen in Gorleben sei es hier aber ruhig, meinte Hundertschaftsführer Thomas Heinhold aus Hessen.Platzverweise, die nach dem Polizeirecht geringste Abwehrmaßnahme, wurden nicht ausgesprochen. Die Züge an den Bahnsteigen rollten weiter.
Viele Schaulustige am Bahnhof bekamen den Castor nicht zu sehen. Und dafür so ein Aufwand, Steuergelder würden verschleudert, schimpfte Harald Hannemann, der sich auf dem Weg von Stassfurt nach Stralsund befand, dabei in Neubrandenburg Halt machte. Mit diesen Geldern sollte man Arbeitsplätze fördern, so Hannemann, der seit acht Jahren arbeitslos ist.

Demo bei Sponholz

Die einzige echte Demonstration gegen den Transport in der Region gab es nahe der Sponholzer Bahnschienen an der Bundesstraße 197 östlich der Viertorestadt. Etwa 15 Castorgegner um ihren Sprecher Monty Schädel hatten sich dort versammelt und machten mit einem Stand auf sich aufmerksam. Zehn Minuten durften sie auch auf die Fahrbahn und verteilten Infozettel an die wartenden Autofahrer.
Die angerückte Polizei wirke gegen das Häufchen Demonstranten übertrieben, meinten einige Sponholzer, die das Spektakel beobachteten. Fast 200 Beamten waren an die Schienen gekommen mit Wasserwerfern und Panzerwagen, auch die Uniformen waren teilweise gepanzert. Es waren sogar mehr Journalisten, darunter etliche Fernsehteams, vor Ort als Castorgegner. Monty Schädel bezeichnete die Aktion deshalb auch als vollen Erfolg: "Uns wenigen Leuten ist es gelungen, Heerscharen von Polizisten und die Öffentlichkeit zu mobilisieren", begründete er.
Zum Schluss erlaubten sich die Demonstranten gar, Schabernack mit den Einsatzkräften zu treiben. Fünf Minuten bevor der Castor anrollte, verließen sie den Schauplatz: "Sollen die hier den Transport bewachen, obwohl niemand mehr da ist", sagte Schädel. Die ursprünglich geplante Besetzung der Schienen habe man auf Grund der zahlenmäßigen Unterlegenheit früh abgehakt.

10. Mai 2001

Castor-Zug fährt ohne Probleme durch - Nordkurier, Lokalausgabe Mecklenburg-Strelitz

Bahnstrecke gleicht am Vormittag einer belagerten Festung - Nur einige friedliche Proteste

Neustrelitz. Die Bahnstrecke Berlin-Neubrandenburg und der Neustrelitzer Hauptbahnhof glichen gestern Vormittag einer belagerten Festung. Mehrere Hundertschaften Polizei und Bundesgrenzschutz hatten das Gelände abgeriegelt, um dem Zug mit vier Castor-Behältern aus Rheinsberg ungehinderte Durchfahrt zu ermöglichen. "Wir wissen nicht, ob wir uns heute besonders sicher fühlen sollen. Schließlich kommt der Atommüll nachher hier durch", meinte ein Taxifahrer, der sich zu seinem angestammten Stellplatz vor dem Bahnhof erst durch die Polizeiwagen schlängeln musste. Verunsichert waren auch die Bahnreisenden. "Das sieht ja beängstigend aus", meinte Pastor Bernhard Szymanski, der auf dem Weg nach Rostock war. Er verstehe den ganzen Aufwand nicht. Auch andere Bahnreisende stellten die Frage nach den Kosten der Operation.
Insgesamt konnte der Atommüll den Landkreis ohne Zwischenfälle passieren, wie es aus der Pressestelle der Einsatzleitung hieß. Gegen 9.15 Uhr rollten die von zwei vergitterten Loks gezogenen Waggons mit BGS besetzt durch die Kreisstadt in Richtung Neubrandenburg und weiter nach Pasewalk. Straßen an Eisenbahnbrücken waren für kurze Zeit gesperrt. Proteste gab es wenige und nur friedliche. "Wir müssen aber auf alles vorbereitet sein", rechtfertigte Polizeisprecher Florian Harm das Aufgebot mit Blick auf die Gorlebener Erfahrungen.

Flugblatt verunsichert

Die einzigen, die sich auf dem Neustrelitzer Bahnhofsvorplatz versammelten, um friedlich gegen Castor-Transporte zu demonstrieren, waren einige Jugendliche. "Mit unserer Mahnwache wollen wir auf die Gefahren und Risiken dieser Transporte aufmerksam machen. Wir fordern einen konkreten und schnellstmöglichen Atom-Ausstieg", erzählen sie. "Die Bundesregierung hat keine ausgefeilten Konzepte. Die Brennstäbe lagern 30 oder 40 Jahre in Lubmin, und dann?". Mit Gewalt wollen die jungen Leute dennoch nichts zu tun haben. Trotzdem, zu den Bahngleisen wurden sie von den Polizeibeamten und den Grenzschützern nicht durchgelassen. "Es ist schade, dass sich die Beamten für die Interessen der Konzerne einsetzen", lautete ihr Kommentar.Ein wenig enttäuscht waren die Neustrelitzer Jugendlichen schon, als der Transport unspektakulär wie ein ganz normaler Personenzug durch den Bahnhof fuhr.
Auch Petra Jakubowski aus Neustrelitz "hätte mehr erwartet". Die Neugierde auf den Castor-Transport packte sie, als sie vor zwei Tagen ein Flugblatt in ihrem Briefkasten fand. "Meine Tochter und ich haben richtig Angst bekommen. Da stand nämlich drin, dass man sich für den Notfall mit Konserven eindecken soll. Sogar die Anleitung für eine Strumpfmaske wurde abgedruckt", erzählt die Mutter. Als Petra Jakubowski aber die angegebene Nummer wählte, hatte sie einen Mitarbeiter der Stadtverwaltung an der Strippe, "und der wusste von nichts."

10. Mai 2001

Anschlag stand nur im Drehbuch - Nordkurier, Lokalausgabe Anklam

Castor passiert Anklam ohne Verzögerungen - Filmteam dreht Krimi über Transport

Ostvorpommern. "So was kann man sich doch nicht entgehen lassen": Aus seiner Neugier auf den Atommüll-Transport von Rheinsberg nach Lubmin machte der 16jährige Anklamer Christian Bonert keinen Hehl. Gemeinsam mit einem Schulkameraden tauchte er gegen 11.30 Uhr am Bahnhof auf, den wenige Minuten später der 600 Meter lange Sonderzug mit den vier Castor-Behältern passieren sollte. "Wir haben Projekttage, da kann man schon mal früher Schluss machen." Während Christian sein vorgezogenes Unterrichts-Ende rechtfertigte, stand ein Dutzend Bereitschaftspolizisten aus dem schleswig-holsteinischen Eutin etwas gelangweilt auf dem Bahnsteig. Von Demonstranten und Atomkraft-Gegnern keine Spur; die Reisenden, die auf den Interregio "Caspar David Friedrich" von Rügen nach Frankfurt warteten, nahmen den Castor-Transport wie auch das Polizei-Großaufgebot gelassen.

Mit Festnahmen gedroht

Schon ab 5 Uhr früh hatten die Eutiner Polizisten Frank Röh und Marc Gottorf ihre Position an der Eisenbahnbrücke im Anklamer Norden bezogen. Gerade an solchen Stellen, wo Straßen die Gleise kreuzen, standen gestern überall Polizisten - hier könnten militante Kernkraftgegner aktiv werden. Aber Röh und Gottorf durften gestern das schöne Wetter und die Freundlichkeit der Ostvorpommern genießen. "In Gorleben kann man sich in Uniform noch nicht mal Brötchen vom Bäcker holen. Hier winken die Leute fröhlich aus dem Auto", staunte Marc Gottorf.
Während sich der Zug mit den in vier Castor-Behältern untergebrachten 246 Brennstäben aus dem ältesten deutschen Atomkraftwerk seinen Weg durch Ostvorpommern bahnte, glich das Zwischenlager Lubmin einer Festung: Weiträumig hatte die Polizei das Gelände abgesperrt - und trotz einer Drehgenehmigung kam ein Filmteam des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) nicht durch. Für die Krimiserie "Polizeiruf 110" sollte ein Anschlag auf den Transport nachgespielt werden. Doch für Fernsehkommissare und Kameraleute war an der Straßensperre der richtigen Beamten erst einmal Schluss. Aufnahmeleiter Jürgen Blumenthal war ratlos und wütend - und die Situation spitzte sich zeitweise derart zu, dass die realen Ordnungshüter den TV-Polizisten sogar mit der Festnahme drohten.
Erst das persönliche Eingreifen von Einsatzleiter Klaus Wils entspannte die angeheizte Stimmung. Und das ORB-Team war rechtzeitig am Lubminer Lagertor, als gegen 13.45 Uhr die Castoren im Schrittempo auf das Gelände rangiert wurden. Für den Chef der Anklamer Polizeidirektion, der stellvertretend für alle Uniformierten ein dickes Lob von Innenminister Gottfried Timm (SPD) einheimsen konnte, gab’s nach dem Großeinsatz nur einen Wunsch: "Ich hoffe, heute abend in Ruhe ein Bier trinken zu können."

10. Mai 2001

Castor in 51 Minuten durch den Kreis - Nordkurier, Lokalausgabe Ueckermünde

Atom-Müll erreicht über Uecker-Randow das Zwischenlager in Lubmin - Transport verläuft ohne Störungen

Ueckermünde/Pasewalk. Nach der Nachtschicht in der DEA-Tankstelle war gestern Ruth Rosenberg gegen 6.30 Uhr schnell nach Hause gefahren, nahm eine Dusche und bereitete für den Waschtag die Wäsche auf. Dann setzte sie sich wieder ins Auto, brauste zum Parkplatz an der B 109 unmittelbar am Übergang Sandförde. "Das muss man doch einmal direkt erlebt haben", begründete die Pasewalkerin. "Ich will den Aufwand sehen, den der Castor-Transport so verursacht", sagt sie.Ruth Rosenberg war indes nicht die erste am Übergang: Rita Schulz aus Göhrke bei Anklam saß in einem Verkaufswagen für Spargel und wartete auf Kundschaft. "Castor?" Sie schüttelte den Kopf. "Dafür habe ich wirklich kein Interesse", sagte sie. Wenig später gesteht sie dann doch ein, gerade in "der" Zeitung gelesen zu haben, wie gefährlich der Castor doch sein könnte. "Na ja", meint sie. Zu dieser Zeit war Polizeioberrat Detlef Stüwert, Leiter der Polizeiinspektion Pasewalk, in der extra für den Castor-Transport eingerichteten Befehlsstelle, Unterabschnitt Pasewalk, bereits seit Stunden auf den Beinen. "Wir sind seit fünf Uhr im Einsatz und zuständig für den Castor-Transport von der Kreisgrenze am Bahnübergang Kreckow in Richtung Pasewalk bis zur Kreisgrenze Altwigshagen/Borkenfriede in Richtung Anklam", sagt er. Zwischendurch klingelt das Telefon: "10.41 Uhr Kreisgrenze passiert", wiederholt er. Der Polizeichef gibt die Zeiten weiter zur Zentrale in Anklam, wo minutiös der Transport der vier Castor-Behältern mit je 84 abgebrannten Brennstäben verfolgt wird. Vorkommnisse? Stüwert schüttelt den Kopf, die Lage sei ruhig.

"Ist doch auch unser Müll", sagt Ruth Rosenberg. Also warum diese Aufregung? Sie dreht dabei am Radio, wo ebenfalls der Castor das Tagesthema ist. So gesprächig sind indes die Beamten der Bundesgrenzschutzabteilung Sankt Augustin bei Bonn am Bahnübergang Sandförde nicht. "Anweisung", verdeutlicht wenig später der Hundertschaftführer, Polizeihauptkommissar Dirk Stenzel. Und nennt auch den Grund: Die Frauen und Männer sind das vierte Mal in diesem Jahr bei einem solchen Einsatz, haben die Auseinandersetzungen und Berichte über Gorleben miterlebt. Da hält man sich zum Ablauf eines solchen Transportes zurück. Mit 11.02 Uhr vermerkt Detlef Stüwert die Ankunft des Transportes im Pasewalker Bahnhof. Über der Stadt kreisen Hubschrauber. Der Zug muss rangieren. Alles klappt. 11.12 Uhr ist er raus aus der Kreisstadt, eilt in Richtung Anklam. Stüwert holt erst einmal Luft, freut sich "über die gute Zusammenarbeit aller Kräfte", schließt dabei BGS und Landespolizei ein. Feierabend? Nein, meint er, der werde von oben, von der Gesamteinsatzleitung, verkündet. Den Transport wertet Polizeihauptkommissar im BGS Dirk Stenzel zu dieser Zeit als "reibungslos und mit einer leichten Verspätung". Im Einsatzabschnitt habe es keinerlei Ereignisse gegeben.
Am Abend laufen die Meldungen über den Einsatz ein: 12 000 Beamte seien im Einsatz gewesen; etwa drei Millionen Mark habe dieser Transport gekostet...