links-lang fetzt!

Soziale Gerechtigkeit ist grenzenlos!

Wenn die Neonazi-Szene am kommenden Sonnabend in Güstrow demonstriert, gibt sie sich mal wieder sozial. Hinter ihren Parolen steckt jedoch nicht mehr als die altbekannte Mischung aus Demagogie, Ausgrenzung und Gewalt.

15.07.2008

Sozial will sie sich geben, die Neonazi-Szene Mecklenburg-Vorpommerns unter Führung der NPD, wenn sie am kommenden Sonnabend durch Güstrow demonstriert. Aufmarschieren wird sie mit Personal, das mit ausgeprägtem Hang zur Gewalt seine Nächstenliebe demonstriert; mit Parolen, die offen an den historischen Nationalsozialismus anknüpfen; und mit einer Ideologie, die auf Ausgrenzung, Hass und Menschenfeindschaft fußt. Da gäbe es so einiges zu verschleiern für die eifrigen Propagandist/innen der Partei.

Gewalt als Programm

Zumindest der eigenen Anhänger/innenschaft muss man nichts vormachen: Einen Konflikt zwischen einer radikalen Szene und einer Parteiführung, die sich um ein bürgerliches Auftreten bemüht, gibt es in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Nicht mit jenen Neonazis etwa, die tagtäglich alternative Jugendliche und Migrant/innen bedrohen oder angreifen, kürzlich in Güstrow einen Asia-Imbiss mit Hakenkreuzen beschmierten und in Brand setzten oder vor einem Jahr im nahen Bützow in einem Mob massiv Imbiss-Betreiber/innen nicht-deutscher Herkunft attackierten und ein Geschäft anzuzünden versuchten. Sie dürfen sich von dem NPD-Spitzenpersonal eher bestärkt fühlen. Von Michael Grewe etwa, dringend Tatverdächtiger nach einem Überfall dutzender Rechter auf eine linke Reisegruppe vor einem Jahr in Pölchow und laut Endstation Rechts Anmelder der Demo in Güstrow. Von Stefan Köster, der bei einem NPD-Parteitag bei Itzehoe auf eine am Boden liegende Antifaschistin eingetreten hatte, oder von Udo Pastörs, der seinen Anhängern eintrichtert, "das kaputt zu machen, was euch und uns kaputt machen will", oder rät: "Schutz vor Gewalt kann nur Gewalt sein." Beide waren auch beim Angriff in Pölchow anwesend. Gegenüber der Polizei rechtfertigte Pastörs den brutalen Angriff seiner Anhänger eifrig als vermeintliche Notwehr gegen linke Chaoten.

Soziale Politik als Heuchelei

Auch in den Parolen gibt sich die Neonazi-Szene und mit ihr die NPD wenig Mühe, ihre Orientierung am historischen Nationalsozialismus zu verdecken. Unter dem wenig subtilen Motto "Nationaler Sozialismus statt Globalisierung" wird nach Güstrow mobilisiert. Der Aufruf strotzt vor Versatzstücken nationalsozialistischer Ideologie: Rassistisch werden Arbeitsplätze nur für Deutsche gefordert und Ausländer/innen zu Lohndrücker/innen pauschalisiert, ganz in antisemitischer Manier ein Gegensatz zwischen Manager/innen, Politiker/innen und Kapital auf der einen sowie dem "Volk" auf der anderen Seite aufgemacht - und wird den auserkorenen Gegner/innen klar Gewalt angekündigt, indem man sie "abstrafen" würde. Gegen das scheinbar unmoralische und individuell verwerfliche Handeln einiger Einzelpersonen wird die autoritäre Volksgemeinschaft beschworen. Auf der Kampagnenhomepage geht die NPD noch weiter und macht in Anknüpfung an die nationalsozialistische Diktion von vermeintlich deutschem schaffenden und jüdischem raffenden Kapital einen Gegensatz zwischen Arbeiter/innen und Spekulant/innen auf.

Die dahintersteckende rechte Ideologie ist weder neu noch innovativ, wie die Neonazis es in ihren Kampagnen gegen "Globalisierung" und "Kapitalismus" glauben machen wollen. Vielmehr verbirgt sich im Ursprung darin eine falsche Sicht auf den Kapitalismus, die noch älter als die Tiraden eines Adolf Hitlers ist. Rechte und Konservative machten schon im deutschen Kaiserreich jüdische Unternehmer und ihre vermeintliche unfaßbare Macht für das soziale Elend der freien Marktwirtschaft verantwortlich. Im frühen 20. Jahrhundert erwuchs daraus das Schreckgespenst einer jüdischen Weltverschwörung, die mit ihrer angeblichen Kontrolle über Chefetagen und Regierungssitze die Nationen und Völker der Welt, zuvorderst die Deutschen, vernichten wollen würde.

Vernichtung als Essenz nationalsozialistischer Ideologie

Dass hinter dem Kapitalismus nicht das böse Handeln einer kleinen Clique, sondern das allgemeine Streben nach Profit in einer warenförmigen Gesellschaft steht, dem sich jedes Individuum unterordnet, ist den alten wie den neuen Rechten zu kompliziert. Sie benötigen klare Feindbilder, gegenüber denen sie sich auf eine überhöhte Gemeinschaft wie Volk, Rasse oder Nation zurückziehen können. Der kapitalistische Alltag mit seinen Widerspiegelungen in der Gegenwartskultur wird bei ihnen zu einem Überlebenskampf der Völker der Erde gegen eine internationale Verschwörung. Ungläubig gegenüber der Tatsache, dass nationale und kulturelle Traditionen Folgeerscheinungen der kapitalistischen Modernisierung sind, wollen sie diese konkreten Seiten des Kapitalismus gegen seine abstrakten, Globalisierung und Börse, verteidigen - indem sie das Nichtfaßbare personifizieren. Der Massenmord an den Jüdinnen und Juden Europas war logische wie folgenreiche Konsequenz des nationalsozialistischen Wahnsinns, Verantwortliche für ein System zu finden, das ohne Verantwortlichkeiten auskommt.

Soziale Gerechtigkeit ist grenzenlos

Jener industriell betriebene Mord an Millionen Menschen ist die Essenz nationalsozialistischer Ideologie. Einer Ideologie, die auf Gewalt, auf Hass, auf Ausgrenzung fußt. Ihr soziales Versprechen ist nicht mehr als Heuchelei. Von ihm sind nicht nur jene ausgeschlossen, die außerhalb der nationalen Grenzen leben, denen der Zufall der Geburt nicht Eltern deutscher Staatsangehörigkeit gegeben hat. An ihm sollen auch die Deutschen nicht teilhaben, die sich nicht der von den Nazis definierten Volksgemeinschaft unterordnen: Politischer Gegner/innen, Gewerkschaftler/innen, Homosexuelle, Jüdinnen und Juden, Obdachlose, Behinderte. Jenen, die übrig bleiben und denen eine Steuererleichterung oder eine billige Arbeit angeboten wird, steht zugleich ein Leben ohne politische und gewerkschaftliche Rechte, ohne demokratische Freiheit, aber dafür in kultureller und internationaler Isolation, in ständiger Repression und Kriegstreiberei in Aussicht. "Unser erstes Augenmerk hat dem Gesunden und Starken zu gelten", tat Udo Pastörs für die NPD im Schweriner Landtag sein Verständnis einer sozialen Politik kund. "Dieses ist zuallererst zu fördern und zu unterstützen."

Wessen Mitgefühl an nationalen Grenzen aufhört, wer Unterstützung nach biologischen oder politischen Kriterien verweigern will, ist im besten Fall ein/e Ignorant/in, im schlimmsten ein/e Menschenfeind/in. In scharfer Abgrenzung davon kann sich nur jene Politik sozial nennen, die für jeden Menschen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und Einstellung ein würdiges Leben anstrebt. Grundlegende, radikale Kritik der kapitalistischen Moderne ist ohne Verständnis ihres vielschichtigen Verblendungszusammenhanges, ihrer ideologischen Ausformungen von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, unmöglich. Und ohne die Gegnerschaft zu ihren wahnhaften Anhängern, den Neonazis von heute, nicht zu haben.

Denn sie sind es, die jedem sozialen und fortschrittlichen Handeln im Wege stehen. Hinter ihrer sozialen Heuchelei steckt nicht nur die Drohung mit Gewalt: Demagogie, Einschüchterung und Übergriff sind und waren in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo schon immer zentraler Bestandteil rechtsradikaler Politik.

Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch in Güstrow erwartet

Lokalpolitik und Zivilgesellschaft haben bisher zu rechten Aktivitäten und Übergriffen in Güstrow weitgehend geschwiegen; einzig alternative Jugendliche haben sich mit zwei antifaschistischen Demonstrationen eindeutig geäußert. Der angekündigte Aufmarsch der Neonazis am 19. Juli mit mehreren Hundert Teilnehmer/innen macht es jedoch unmöglich, gegenüber dem Problem weiterhin die Augen zu verschließen - nicht zuletzt den am gleichen Tag wegen eines Schlossfestes in die Stadt strömenden Touristen will man kein Güstrow präsentieren, das Rechtsradikalen nichts entgegenzusetzen hat. DGB, SPD und Linke haben einen "Tag gegen Rassismus und für Toleranz" auf dem Marktplatz am Rathaus angekündigt, zu dem Bürger/innen mit Infoständen gelockt werden sollen und den auch der Zug der Rechten passieren wird.

Diese wollen sich ab 11 Uhr am Bahnhof treffen und ab 12 Uhr in Richtung des Wohnviertels Diestelberg ziehen. Von dort aus geht es nach einem Schwenk hinter dem Schloss über die Innenstadt und den Marktplatz zurück zum Bahnhof. Die geplante Teilnehmer/innenzahl von 400 Neonazis schätzen Antifaschist/innen als realistisch ein. Aktivitäten von autonomen Antifaschist/innen sind bisher nicht angekündigt.