links-lang fetzt!

Der Fall der Frontkämpfer

Nach weniger als einem Jahr und massiven Protesten werfen die Betreiber des Rostocker Nazi-Ladens "East Coast Corner" das Handtuch und kehren nach Hamburg zurück. Dafür hat jedoch die lokale rechte Szene das Geschäft übernommen.

03.06.2008

Thorsten de Vries
Andere Zeiten: Thorsten de Vries vor dem Nazi-Laden im Sommer 2007, 800x600, 151 KB
Torben Klebe und David Petereit
Andere Zeiten II: Torben Klebe und David Petereit, mit Stange und Stöpsel, zur Eröffnung des Ladens am 15. Juni 2007, 800x600, 112 KB
"Eigentlich wollten wir den Laden zum 31 Mai ganz schliessen", teilt sich Thorsten de Vries mit (Rechtsschreibung im Original). "Es wurde nun aber doch noch eine faire Lösung gefunden". Mit seinem Statement auf dem Neonazi-Portal Altermedia macht der ehemalige Geschäftsführer des Rostocker "East Coast Corner" nicht nur deutlich, dass sein rechter Szene-Laden in der Hansestadt schon lange keinen Gewinn mehr ausschüttet. Darüber hinaus zieht er daraus sogar die wirtschaftlicher Logik entsprechende Konsequenz, Rostock zu verlassen. Seit dem 1. Juni zeichnet sich der NPD-Landtagsabgeordnete Birger Lüssow für das Geschäft verantwortlich.

Damit ist es autonomen und bürgerlichen Antifaschist/innen nach fast einem Jahr anhaltender Proteste gelungen, die beiden Hamburger Neonazis de Vries und Thorben Klebe aus Rostock zu vertreiben. Wiederholte militante Angriffe auf den Laden, massive Ausschreitungen und zivilgesellschaftliches wie auch politisches Engagement haben den Betreibern nicht nur das Leben schwer gemacht, sondern auch die Kosten für den Erhalt des Geschäftes in die Höhe getrieben. Die sowieso schon kleine Käuferschicht für Neonazi-Devotionalien wurde durch die Auseinandersetzungen verschreckt und dürfte den Umsatz klein gehalten haben.

Erschrocken über das Ausmaß der Proteste dagegen sind nicht nur die Hamburger Betreiber gewesen, es hat auch fast alle Beobachter überrascht. Unterstellungen, die Neonazis wollten einen Vorposten in dem Rostocker Szeneviertel etablieren, gingen am eigentlichen Ziel des ruhigen Geschäftemachens vorbei, das Klebe und de Vries wiederholt betonten. Da es in der Vergangenheit immer wieder Läden von rechten Akteuren oder mit rechter Klientel in der Rostocker Innenstadt gegeben hatte, bestand für sie ursprünglich kein Grund zur Besorgnis. Mit der erhöhten Aktivierung und Sensibilisierung von Antifas und Zivilgesellschaft durch den Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern auf der einen und ihrer Motivierung durch den vorausgegangenen G8-Gipfel auf der anderen Seite hatten sie jedoch nicht gerechnet.

Ihre schließlich improvisierte Maßgabe, in der "Frontstadt Rostock" nicht zu "kapitulieren", mußte sich jedoch als unmöglich herausstellen in einem lokalen Umfeld, das den Rechten feindlich gesinnt ist - mit wiederholten Drohungen und Gewalttaten konnten de Vries und seine Kameraden selbst bei jenen Anwohner/innen, denen mehr an Ruhe als Antifaschismus gelegen ist, wenig Sympathien gewinnen. Die Unterstützung der Neonazi-Szene Mecklenburg-Vorpommerns einschließlich der NPD-Landtagsfraktion blieb punktuell. Einzig aus dem überschaubaren Kreis von NPD-Funktionären in Rostock, die vielleicht der Geschäftsidee und dem Auftreten von de Vries wenig abgewinnen können, aber um die politische Bedeutung des Ortes für die Szene wissen, erhielt das Projekt noch Unterstützung; Birger Lüssow richtete im September 2007 in den Räumlichkeiten sein Wahlkreisbüro ein.

Angesichts der offiziellen Übernahme des Geschäftes durch das Landtagsmitglied bedeutet der Rückzug von Klebe und de Vries noch lange nicht das Ende des Nazi-Ladens in der Doberaner Straße. Mehr noch als die ehemaligen Betreiber sind der NPD-Landtagsabgeordnete und sein Wahlkreismitarbeiter David Petereit in die Neonazi-Szene des Landes eingebunden und verfügen über Wissen und Chancen, den Laden erfolgreich zu führen. Während Lüssow aus dem Umfeld einer Rostocker und Bad Doberaner Szene stammt, die in das internationale und in Deutschland verbotene Musik-Netzwerk Blood&Honour eingebunden war, zeichnet sich der umtriebige Petereit unter anderem für den Internetversand Levensboom verantwortlich. Rostocker Neonazis standen erst kürzlich wegen der illegalen Fortführung von Blood&Honour vor Gericht, aus der Region kommt mit "Path of Resistance" eine der bekannteren rechtsradikalen Hardcore-Bands.

Somit dürften Rostocker Antifaschist/innen noch einigen Grund und Anlass für Action haben, ehe die Location als Geschäft, Versand oder NPD-Büro endgültig schließt. Und selbst dann dürfte es noch eine Weile dauern, bis nicht nur Neonazis, sondern auch ihr menschenverachtendes Gedankengut aus Rostock und von überall verschwunden sind. Es gibt weiterhin viel zu tun!

Links

Naziläden wegmachen! Überall!
Etwas älteres Feature zu Nazi-Läden in Mecklenburg-Vorpommern mit umfangreicher Pressesammlung
http://www.links-lang.de/0706/10.php

"Naziladen East Coast Corner wird zu 'Dickkoepp' - Zur Person des neuen Geschäftsführers Birger Lüssow"
Beitrag im Rostocker Polit-Blog besserscheitern
http://besserscheitern.wordpress.com/2008/06/03/naziladen
-east-coast-corner-wird-zu-dickkoepp-zur-person-des
-neuen-geschaftsfuhrers-birger-lussow/


"Rostock: ECC kaputtgemacht! NPD-Funktionär als neue Hoffung?"
Artikel bei indymedia
http://de.indymedia.org/2008/06/219077.shtml

"'ECC' geschlossen - Lüssow jetzt Klamottenhändler?"
Beitrag von Endstation Rechts
http://www.endstation-rechts.de/index.php?
option=com_content&task=view&id=1625&Itemid=92


Levensboom
Rechter Internetversand, für den sich David Petereit verantwortlich zeichnet
http://www.levensboom.de

"...in der Mitte angekommen"
Die Broschüre von 2002 informiert auch über Neonazi-Szene-Strukturen im Raum Rostock
http://www.links-lang.de/antifa/indermit.pdf