links-lang fetzt!

Normalität, die keine werden darf

Regelmäßig kommt es zu rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern. Vorurteile und die Propaganda der NPD tragen dazu bei, dass sie geleugnet und bagatellisiert wird. Dabei geht es auch anders.

03.08.2007

Es war eine Situation in Sellin, wie sie regelmäßig in Mecklenburg-Vorpommern vorkommt: Eine Gruppe von Jugendlichen verbringt den Sommer an einem See, entzündet ein Lagerfeuer und ist guter Dinge. Man kommt nicht aus dem Bundesland und kennt die Anwohner/innen nicht. Ein Anwesender ist als Austauschschüler aus Brasilien erkennbar nicht-deutscher Herkunft. In der Nacht stoßen junge Rechte aus dem Ort zu der Gruppe. Sie beschimpfen und bedrängen die Jugendlichen, rufen wiederholt "Sieg Heil". Ein Urlauber wird erniedrigt, indem eine Bierflasche über ihm ausgekippt wird. Die Polizei kann später die Personalien der Täter aufnehmen.

Was diesem rechten Übergriff Ende Juli folgte, passiert nicht minder häufig: Leugnung und Verharmlosung. Nachdem die Lokalpresse über den Vorfall berichtet hatte, gab sie einem der Täter unkommentiert Raum, sich in hanebüchenen Aussagen zu rechtfertigen. Roman Fuchs, in der Region für seine Einstellung bekannt, durfte sich in Schadensbegrenzung bemühen und fabulieren, dass man keine Nazi-Parolen gegrölt, sondern einen Freund mit "Hey Sieg" begrüßt hätte. Außerdem hätte man während eines "Kontrollganges am See" die fremden Jugendlichen mit Drogen erwischt und wäre deshalb gegen sie vorgegangen.

Sorge um Touristen, falsche Heimatliebe und Verständnis für die Jungs von nebenan

Erschreckend ist nicht nur, dass die Lokalpresse die abstrusen Behauptungen der Rechten und ihre Rechtfertigung der Gewalt abdruckt, nach der die Angreifer sich als Hüter ihres kleinbürgerlichen Ordnungsdenkens aufspielen wollten. Vielmehr hat die Polizei sogar Ermittlungen gegen die Opfer wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet. Dass die Beamten vor Ort außer in den Schutzbehauptungen der Rechten weder Drogen noch dementsprechende Utensilien gefunden hatten, stellt anscheinend kein Problem dar.

Auf Usedom dürfte inzwischen jedoch Beruhigung eingesetzt haben. Was nach einem Überfall von Neonazis aussah, hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung so vielmehr als beherztes Einschreiten örtlicher Jugendlicher gegen Drogenmissbrauch entpuppt. Es dürften die gleichen Abwehrreflexe am Werk sein, derer man sich in Krakower See im Landkreis Güstrow bediente, als dort kürzlich Rechte Nazi-Parolen riefen und mit einer Maschinenpistole um sich feuerten. Da sie betrunken gewesen und in keiner einschlägigen Gruppierung organisiert seien, hätte man auch kein Neonazi-Problem. Auch in Ueckermünde beeilt sich die Polizei, nach einem Übergriff auf einen Musiker nicht-deutscher Herkunft schnell zu versichern, dass kein ausländerfeindliches Motiv vorliege. Die Binsenweisheit, dass bei Streitigkeiten ein Bündel von Motiven zusammenkommt, hat man aus Angst um einen Imagverlust der Stadt wohl vergessen.

Weil man Sorge um das Bild des Touristiklandes Mecklenburg-Vorpommern ist, weil man sich die Region nicht durch Pressemeldungen schlechtmachen oder weil man die netten Jungs von nebenan nicht als Neonazis wahrnehmen will, werden rechte Gewalttaten im Bundesland immer wieder bagatellisiert. Die Zahl jener Dunkelfälle, die gar nicht erst bekannt werden, weil weder Opfer noch Polizei damit an die Öffentlichkeit gehen, dürfte sogar noch größer sein als das, was als rechte Gewalt in den Medien thematisiert wird. Dabei gibt es auch Beispiele für einen offensiven Umgang mit der Problematik: Nachdem Rechte in Schwerin eine deutsch-französische Jugendgruppe rassistisch beschimpft und angegriffen hatten, positionierten sich mehrere Hundert Schweriner öffentlich gegen rechte Gewalt. Ohne den politischen Hintergrund zu verschweigen, waren die lokalen Behörden bemüht, die Täter zeitnah zu bestrafen.

Vorurteile gegen die Opfer und die Hetze der NPD

Das Beispiel aus Ueckermünde zeigt noch andere Schwierigkeiten im Umgang mit rechter Gewalt. Obwohl die Angegriffenen im Besitz deutscher Pässe und somit deutsche Staatsbürger sind, wurden sie von der Polizei als Ausländer aufgeführt und der Vorfall als mögliche ausländerfeindliche Straftat eingestuft. Mit der Erkenntnis, dass auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen kann, wer nicht in das "übliche" Bild eines "Deutschen" gehört, gibt es in Ueckermünde wohl auch über die Kreise einschlägiger Unbelehrbarer hinaus gewisse Probleme.

Solche und andere Vorurteile sind auch bei Polizist/innen verbreitet und können dafür verantwortlich sein, dass Straftaten nicht als politisch bewertet werden, ihnen nicht mit Nachdruck nachgegangen wird oder sie zuweilen gar nicht erst aufgenommen werden. Ausgerechnet der NPD-Landsabgeordnete Stefan Köster hat mit einer Reihe von Anfragen an die Landesregierung über rechte Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern hierfür eine Vielzahl von Beispielen zu Tage gefördert. Köster, der selber zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, weil er am Rande eines NPD-Parteitages auf eine am Boden liegende Frau eintrat, wollte vom Innenministerium Details zu vielen Vorfällen wissen, die der Beratungsverein für Betroffene rechter Gewalt Lobbi auf seiner Homepage veröffentlich hat.

Die Antworten zeigen, dass die Ermittlungsbehörden zuweilen sehr zögerlich darin sind, einschlägige Straftaten als rechts motiviert einzuordnen. Manchmal werden ähnliche Fälle sogar unterschiedlich behandelt: So wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig die Scheiben eines Büros der Linkspartei.PDS in Neustrelitz eingeworfen. Während die Behörden in einem Fall klar eine politische Motivation der Täter/innen benannt haben, wurde die in einem anderen Fall verneint.

Die detaillierten Aufzählungen rechter Gewalt in den Antworten der Landesregierung zeichnen ein erschreckendes Bild ideologischer Verblendung, die Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer nicht-rechten Einstellung zu Opfern brutaler Schläger macht. Die NPD freilich will davon nichts wissen. In wohl nur ihr eigenen Formen von Mathematik und Logik zählt sie sich die Ergebnisse der Anfragen nach Gutdünken zurecht und glaubt hinaus, dass Straftaten, bei denen keine Täter aufgespürt werden konnten oder von denen die Polizei nichts weiß, sich nicht ereignet hätten. Im Fall der NPD kann man darüber schmunzeln. Warum die Polizei jedoch nicht von Haus aus Ermittlungen einleitet zu Vorfällen, die in den Medien behandelt oder über den Opferberatungsverein an die Öffentlichkeit gebracht werden, ist fragwürdig.

Dafür mag es rechtliche, finanzielle, personelle Gründe oder solche von Fristen geben. Aber vielleicht sind es auch Schlampigkeit und jene Vorurteile einzelner Beamter, die Opfer rechter Gewalt eben nur als Ausländer, schmuddelige Punks oder linke Krawallmacher begreifen. Die NPD weiß, wie sie solche Ressentiments aufgreifen und für sich nutzen kann: Nachdem vor einigen Wochen in Pölchow dutzende Neonazis Jugendliche auf dem Weg zu Anti-Rechts-Protesten angegriffen und teilweise schwer verletzt hatten, begrüßte die Hälfte der anwesenden NPD-Fraktion die eintreffende Polizei und schilderte ihre Version der Vorfälle. In der Folge wurden gegen Opfer Ermittlungen eingeleitet.

Stefan Köster gibt sich seitdem wildesten Fantasien von übel riechenden Autonomen hin, die mit Rucksäcken voller Pflastersteine auf der Suche nach Nazis durch das Land fahren würden. Es sind solche Ressentiments, die seiner Anhängerschaft als Legitimation brutaler Gewalt gegen all jene dienen, die nicht in ihr autoritäres und völkisches Weltbild passen. Gewalt, wie sie sich regelmäßig in Mecklenburg-Vorpommern ereignet. Wer sie jedoch leugnet, relativiert oder als Normalität akzeptiert, macht sich zum Bündnispartner jener, die wollen, dass sie zur Alltäglichkeit wird.

Links

Landesweitere Beratung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt
Website des Opferhilfevereins Lobbi e.V.
http://www.lobbi-mv.de/