links-lang fetzt!

Widersprüchlicher Unterhaltungswert

Der Verfassungsschutzbericht kann eine erheiternde Lektüre sein. Weniger lustig ist jedoch die von der Behörde beständig propagierte Extremismustheorie.

16.06.2005

Der Verfassungsschutzbericht ist immer wieder eine spannende Angelegenheit. Nicht nur kann er jedes Jahr mit lustigen Erkenntnissen aus und Weisheiten zu der Welt der Extremistenszene aufwarten. Die Versuche des Inlandsgeheimdienstes, politische Aktivitäten in ein extremismustheoretisches Modell zu drängen, müssen unweigerlich eine Form annehmen, die, würde sie nicht die Wahrnehmung des Problems des Neonazismus im Land bestimmen, sehr erheiternd wäre.

In diesem Jahr können die Schweriner Beamt/innen ihre Leserschaft etwa mit den Informationen beglücken, dass gegen eine Neonazi-Demo in Neubrandenburg "Störer" nicht nur aus den Autonomenhochburgen Berlin und Brandenburg, sondern auch dem Hort linker Krawallbrüder und -schwestern in MV, Ostvorpommern, angereist waren. Zudem stellen die Geheimdienstler dem an rassistischen Nazi-Rock oder antisemitischer Propaganda interessierten Publikum Weblinks zu rechten Internetseiten zur Verfügung - nur ein Klick vom Verfassungsschutz zum Störtebeker-Netz! - und mahnen eindringlich: "Proliferation geht uns alle an!"

Weniger lustig ist die konsequente Umsetzung des anti-extremistischen Gründungskonsens der Bundesrepublik, indem jener Extremismus in Form einer Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Ordnung, wie sie das Grundgesetz definiert, sowohl bei links- und rechtsradikalen als auch ausländischen Gruppen gesucht wird. Das führt nicht nur zu solch bizarren Blüten wie der Wertung friedlicher Blockaden von Neonazi-Demos als linksextremistischer Versuche zur Beseitigung der Demokratie. Im Falle des Rechtsradikalismus verharmlost die Extremismustheorie ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Denn indem Rassismus, Antisemitismus oder Autoritarismus auf eine Gruppe von rechten Spinnern begrenzt werden, wird konsequent ausgeblendet, dass ein großer Teil der "normalen" Bevölkerung eben diese Einstellungen teilt. Schließlich betreiben Neonazis auf der Suche nach Nachwuchs keine Gehirnwäschen, sondern greifen auf Vorurteile zurück, die in der Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz gepflegt werden. Wenn sich letztendlich Wähler für eine offen neonazistische Partei wie die NPD entscheiden, tun sie dies nicht, wie der Verfassungsschutz beharrlich behauptet, weil ihnen deren eigentliche Ziele verschwiegen werden. Sie stimmen vielmehr den rechtsradikeln Losungen und Problemlösungen, die in der Tradition jener des Dritten Reiches stehen, bewußt zu.

Nicht zu vergessen, dass die Extremismustheorie als flexibles Modell, das das Grundgesetz in den Mittelpunkt stellt, rassistische Innen- oder antisemitische Außenpolitik durchaus möglich macht, solange sie nicht von Randgruppen, sondern der freiheitlich-demokratischen Mitte der Gesellschaft gutgeheißen wird. Was im Rahmen von Diskursverschiebungen innerhalb weniger Jahre möglich ist, wie der nationalistische und rassistische Rechtsruck in der Bundesrepublik Anfang der 90er Jahre zeigte.

So beschränkt sich der Gebrauchswert des Verfassungsschutzberichtes auf den Überblick über Neonazi-Aktivitäten des vergangenen Jahres. Obwohl auch diese unstrukturiert und unzureichend sind, ist er mangels Veröffentlichungen von Antifa-Gruppen des Landes in dieser Hinsicht leider ohne Alternative.

Links

Landesverfassungsschutzbericht für das Jahr 2004
http://www.verfassungsschutz-mv.de/news/
download/Verfassungsschutzbericht%202004_1255.pdf


Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern
http://www.verfassungsschutz-mv.de/