Wozu Demokratie, wenn es um Anklam geht?
Mit der Begründung, dass Allgemeinwohl wichtiger als Parteiinteressen ist, hat die Stadtvertretung von Anklam mit überwältigender Mehrheit einem Antrag der NPD zugestimmt. Damit beschert sie der rechtsradikalen Partei in Ostvorpommern einen bisher einmaligen Erfolg.
23.05.2005
"Ich kenne keine Parteien mehr", tönte 1914 Kaiser Wilhelm II. angesichts des Ersten Weltkrieges, "ich kenne nur noch Deutsche". Rechtsradikale berufen sich gerne auf den letzten Monarchen Deutschlands, wenn sie gegen das demokratische System wettern. Die pluralistische Gesellschaft, in der widerstreitende Interessen in Diskussionen ausgehandelt werden müssen, lehnen sie ab. Stattdessen solle das Gemeinwohl des "deutschen Volkes" im Vordergrund stehen. Ein allgemeines Interesse, dass freilich sie bestimmen wollen.
Es sollte beunruhigen, wenn in einer Demokratie unterschiedlichste Gruppen ihre Konflikte begraben und sich aus Lokalpatriotismus für ein gemeinsames Ziel einsetzen. Dass alle Parteien der Anklamer Stadtvertretung dies bei deren jüngster Sitzung taten und damit sogar einem Antrag der NPD zustimmten, wirft ein umso besorgniserregenderes Bild auf die Beschaffenheit demokratischer Verhältnisse in Ostvorpommern.
Michael Andrejewski, Stadtvertreter für die rechtsradikale Partei, hatte den Antrag eingebracht, dass das Kommunalparlament eine Unterschriftensammlung anstrengt, die sich für Anklam als Kreisstadt eines möglichen neuen Großkreises Südvorpommern einsetzt. Eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten folgte dem Vorschlag der NPD; laut ihrem Bericht gab es 20 Ja-Stimmen, eine dagegen und zwei Enthaltungen. Sprecher von CDU und PDS hätten zwar betont, so Andrejewski auf einer Neonazi-Internetseite, dass sie Probleme mit der NPD haben. Der Antrag wäre jedoch in der Sache vernünftig: "Das Wohl der Stadt habe Vorrang vor parteitaktischen Überlegungen".
Während dieser Tage die Polizei über den wachsenden Einfluss von Neonazis in Ostvorpommern klagt und lokale Initiativen gegen Rechtsradikalismus auf die Notwendigkeit von mehr Engagement für eine demokratische Gesellschaft hinweisen, tut die Anklamer Stadtvertretung die Ablehnung der menschenverachtenden Politik der NPD als "parteitaktische Überlegung" ab. Mit der Behandlung als gleichberechtigter Partner und der Annahme ihres Antrages bescheren die Parteien der NPD damit einen bisher einmaligen Erfolg im Anklamer Parlament.
Dass jedoch Parteien, die von parteiübergreifenden Interessen sprechen, sich über kurz oder lang selber überflüssig machen, erkennen sie noch nicht.
Links
Stadtvertretung nimmt NPD-Antrag an
Nordkurier-Anklam vom 20.05.2005
http://www.links-lang.de/presse/2773.php
Anklamer Stadtvertreter plädieren für einen Kreis Südvorpommern
Ostseezeitung vom 21.05.2005
http://www.links-lang.de/presse/2774.php
Kampf gegen Rechts soll kreisübergreifend sein
Polizei berichtete über rechte Szene in Ostvorpommern
Nordkurier-Anklam vom 20.05.2005
http://www.links-lang.de/presse/2772.php
Rechte Szene scheinbar zunehmend akzeptiert
Nordkurier-Anklam vom 21.05.2005
http://www.links-lang.de/presse/2775.php
Braune Szene gibt sich volkstümlich
Ostseezeitung vom 21.05.2005
http://www.links-lang.de/presse/2776.php
Ostvorpommern wird "rechtsextreme Region"
Ministerpräsident und Bürgerinitiativen warnen
Schweriner Volkszeitung, Ostseezeitung und Nordkurier vom 05.08.2004
http://www.links-lang.de/presse/1836.php
Prozente für die Volksgemeinschaft
Wahlergebnisse und Wahlkampf der rechtsextremen NPD bei den Kommunalwahlen am 13. Juni 2004 in Mecklenburg-Vorpommern.
http://www.links-lang.de/antifa/kommunal.pdf
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