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Jammern verboten

Am kommenden Sonnabend wollen Neonazis mit einer Demonstration in Ahlbeck die Zerschlagung Nazi-Deutschlands betrauern. Während ein Bürgerbündnis zu Gegenaktivitäten aufruft, ist der Aufmarsch der Rechten erst einmal untersagt worden.

13.04.2005

Plakat der Antifa Neubrandenburg
Plakat der Antifa Neubrandenburg, 600x424, 81 KB
Im Jammern sind sie Spitzenreiter. Seit Jahrzehnten beklagen sich Alt- und Neonazis über so manches Leid, das infolge des Zweiten Weltkrieges über die Deutschen gekommen sein soll. Da in den letzten Jahren allerdings die ganze Republik zu einer sich selbst beweinenden Trauergemeinde geworden ist, müssen sich die Nazis neue Ideen einfallen lassen, um aus der rechten Masse hervorzustechen. Einer dieser Versuche ist am kommenden Wochenende die Nachstellung eines Flüchtlingstrecks in Ahlbeck.

Er soll eine Demo der vorpommerschen Neonazis anführen, die unter dem Motto "1945-2005: Sechzig Jahre Befreiungslüge - Wir feiern nicht! Wir klagen an!" durch den kleinen Ort ziehen will. Mit Bollerwagen und zerlumpter Kleidung soll so an mehrere Billionen (!) Betroffene von Flucht und Umsiedelung erinnert werden. In gewohnt rechter Diktion macht der Aufruf Polen und Tschechien als "Vertreiberstaaten" aus, während die Millionen Opfer des Holocaust und des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa mit keinem Wort Erwähnung finden. Stattdessen heißt es über die deutschen Mörderbanden, dass sie gestorben seien, "um ihre Familie, ihr Volk und ihre Heimat zu schützen".

Wenige Kommentatoren außerhalb der Neonazi-Szene gehen anläßlich des 60. Jahrestages der Befreiung Europas von der deutschen Herrschaft so weit, zu sagen, dass die SS-Mordkommandos vor Moskau ihre Familien verteidigten. Doch der ständige Verweis auf angebliches deutsches Leid ist fester Teil der Erinnerung an das Kriegsende. Fast kein Artikel, ob in der bundesweiten Medienlandschaft oder in der Lokalpresse, der nicht Deutsche als Opfer von Flucht, "Vertreibung", Bombardierungen oder "Russen" ausmacht. Die eigentlichen Opfer des deutschen Vernichtungswahns werden dabei den Deutschen gleichgestellt oder gar nicht erst erwähnt. Dass der Nationalsozialismus jedoch keine Katastrophe war, die plötzlich über Europa hinwegfegte, sondern vom Großteil der deutschen Gesellschaft unterstützt und betrieben wurde, wird außer Acht gelassen. Der deutsche Massenmord als auch die folgenden emotionalen oder friedensstiftenden Maßnahmen gegenüber den Deutschen werden so gleichermaßen zu Schrecken des Krieges, ganz Europa und damit auch Deutschland zum Opfer Hitlers.

Das Bürgerbündnis, das sich gegen den Neonazi-Aufmarsch zusammengefunden hat, macht in einer Erklärung allerdings klar, dass der Zweite Weltkrieg von Deutschland begonnen wurde. "Zeigen wir unseren Gästen und somit der ganzen Welt, dass wir weltoffen sind. Wir brauchen in der Zukunft keinen Hass und keine Intoleranz, wir brauchen ein friedliches Zusammenleben der Menschen", heißt es im guten Willen wie auch im Versuch, das touristenfreundliche Image Usedoms gegen die Rechten zu verteidigen. Zu diesem Zweck soll zeitgleich mit der Neonazi-Demo eine Gegenveranstaltung in Ahlbeck stattfinden.

Unter dem Motto "Deutsche Täter sind keine Opfer" ruft dagegen die Antifa Neubrandenburg dazu auf, die Nazidemo zu sabotieren. "Gegen Geschichtsrevisionismus - Gegen den deutschen Opfermythos" ist auf einem Plakat zu lesen.

Noch ist es allerdings fraglich, ob die wenigen Antifaschist/innen, die sich auf den Weg nach Usedom machen werden, den Bollerwagen-Umzug überhaupt zu sehen bekommen. Die zuständige Kreisbehörde hat die Demonstration verboten, da das Motto den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen würde. Die Neonazis allerdings geben sich energisch: Bis zum Bundesverfassungsgericht wollen sie sich gegebenenfalls hochklagen, um ihr Recht aufs Jammern durchzusetzen.

Links

Stadtplan von Ahlbeck
http://www.drei-kaiserbaeder.de/index.php?id=0014

"Nazi-Demo sabotieren"
Gegen Geschichtsrevisionismus - Gegen den deutschen Opfermythos
Plakat der Antifa Neubrandenburg
http://www.links-lang.de/0504/07.jpg

Pressespiegel

Rechte wollen in Ahlbeck marschieren
Kreis prüft Antrag der Szene
Nordkurier-Usedom vom 24.02.2005
http://www.links-lang.de/presse/2378.php

Bündnis gegen rechten Aufmarsch angestrebt
PDS will Kandidaten und Parteien ansprechen
Nordkurier-Usedom vom 01.03.2005
http://www.links-lang.de/presse/2389.php

Skatertreff als Gegenaktion zu rechtem Aufmarsch
Bürgermeisterkandidat plant Veranstaltung für Jugend - Gemeinde stellt Platz zur Verfügung
Nordkurier-Usedom vom 04.03.2005
http://www.links-lang.de/presse/2406.php

Bündnis gegen Rechts bindet die Schulen ein
Nordkurier-Usedom vom 17.03.2005
http://www.links-lang.de/presse/2454.php

Kirche und Schulen unterstützen Aktionsbündnis
Ostseezeitung-Usedom vom 18.03.2005
http://www.links-lang.de/presse/2459.php

Aktionsbündnis plant Bürgerfest
Nordkurier-Usedom vom 01.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2498.php

Anhörung zur Demo vorerst ohne Ergebnis
Ostseezeitung-Usedom vom 06.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2518.php

Kandidaten uneins gegen Rechts
Nordkurier-Usedom vom 08.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2530.php

Kreisverwaltung befasst sich mit rechtem Aufmarsch
Ostseezeitung-Usedom vom 11.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2535.php

Kreis will Aufmarsch verbieten
Nordkurier-Usedom vom 12.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2539.php

Landkreis verbietet rechten Aufmarsch
Nordkurier-Usedom und Ostseezeitung vom 13.04.2005
http://www.links-lang.de/presse/2542.php