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Appelle an die Durchschnittsrassisten
Die Antifa Rostock erinnert am kommenden Mittwoch mit einer Kundgebung an das Pogrom von Rostock Lichtenhagen. In ihre Kritik am Rassismus in der deutschen Gesellschaft schließt sie den zivilgesellschaftlichen Antirassismus mit ein.
22.08.2004
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Dokumentation des Plakates, 427x600, 60 KB |
Zwölf Jahre ist es her, dass im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen der versuchten Mord an mehr als einhundert vietnamesischen Vertragsarbeiter/innen bejubelt wurde. Über tausend Bürger/innen klatschten Beifall, als Neonazis das Sonnenblumenhaus anzuzünden versuchten. Der Mob fühlte sich ermutigt, nachdem er in den vorherigen Tagen mit Gewalt bereits die Räumung der benachbarten Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber erwirkt hatte.
Rostock wurde durch das Pogrom von 1992 weltbekannt. In der Hansestadt zeigte sich fast 50 Jahre nach der Zerschlagung des Dritten Reiches der Weltöffentlichkeit wieder das häßliche Gesicht der Deutschen. Waren sie 1989 unter den Rufen "Wir sind das Volk" angetreten, die Volksgemeinschaft zu vereinigen, machten sie sich nun und in den folgenden Jahren daran, ihr Land von all denen zu befreien, die nicht dazugehören sollten.
Mit dem Image rechter Gewalt ließen sich international allerdings weder Geschäfte noch Politik machen. Also wurden Neonazis zumindest in der veröffentlichten Meinung geächtet; und auch Rostock bemühte sich darum, den Ruf der Pogromstadt loszuwerden. So richtig gut klappte das mit einem zivilgesellschaftlichen Bündnis, dass sich 1998 unter dem Namen "Bunt statt Braun" zusammenfand. Mit "Friedensfesten", auf denen "Ausländer/innen" ihre Kulturen vorführen und den Deutschen versichern dürften, wie tolerant diese doch seien, wurde das kollektive Gewissen beruhigt. Anstatt politischer Forderungen nach der rechtlichen Gleichstellung von Migrant/innen, dem konsequenten Vorgehen gegen Neonazis oder der Aufdeckung der Ursachen rechtsradikaler Einstellungen gab es Appelle an Toleranz und Moral der deutschen Durchschnittsrassist/innen. Stand eine Demonstration - natürlich auswärtiger - Neonazis an, wurde auch mal zum Protest aufgerufen. Die Rostocker/innen sollten die Rechten ignorieren, hieß es dann, oder man appellierte in sicherer Entfernung an Friedlichkeit und Toleranz.
Der Fall Lichtenhagen schließlich wurde 2002 abgeschlossen. Nachdem öffentlichkeitswirksam der letzte Prozeß gegen beteiligte Neonazis zu Ende gegangen war, veranstaltete "Bunt statt Braun" - inzwischen ein eingetragener Verein - am Sonnenblumenhaus ein multikulturelles Fest unter der Überschrift "10 Jahre friedliches Miteinander". "Das Motto war angesichts anhaltender rassistischer Übergriffe ein Hohn auf alle Opfer rechter Gewalt in Rostock", kommentiert die Antifa Rostock den Schlußstrich der Rostocker Zivilgesellschaft unter das Kapitel Lichtenhagen. Seitdem ist das Thema vom Tisch.
Nicht jedoch für die Antifa Rostock. Die Gruppe hat für den kommenden Mittwoch eine Kundgebung vor dem Rostocker Rathaus angekündigt. Dabei kritisiert sie den Rassismus in der deutschen Gesellschaft mit seinen Ausformungen in der menschenunwürdigen Behandlung von Flüchtlingen und eine bürgerliche Politik, die sich Forderungen nach Toleranz gegenüber fremden Kulturen verschrieben hat, als zwei Seiten einer Medaille. Sowohl Debatten um "Leitkultur" als auch multikulturelle Feste seien von einer Wahrnehmung von Menschen als Teil bestehender Kulturen, nicht als Individuen, geprägt. Der Begriff der Kultur allerdings, so die Antifaschist/innen, ist ein rassistisches Konstrukt, dass Menschen in Zwangsgemeinschaften presst statt ihnen die individuelle Selbstentfaltung zu gestatten.
Deshalb ruft die Antifa Rostock nicht nur dazu auf, am kommenden Mittwoch an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und die unzähligen anderen rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Gewalttaten zu erinnern. Ihr geht es ebenso darum, zu zeigen, "dass unsere Solidarität jenen Menschen gehört, die für ein gleichberechtigtes Nebeneinander hierzulande unabhängig von Staatsangehörigkeit und Herkunft eintreten." Die Reaktionen der Rostocker Ziviligesellschaft werden offenbaren, wie durchsichtig ihr Anspruch einer weltoffenen Stadt ist, die Lehren aus Lichtenhagen gezogen hat.
Die Kundgebung beginnt um 16.30 Uhr am Neuen Markt.
Links
FUCKen sie OFF!
12 Jahre nach dem Pogrom von Lichtenhagen: Gegen Totschweigen und Imagepolitik - Keine Beschönigung deutsche Zustände! Aufruf der Antifa Rostock
http://www.links-lang.de/0804/04.php
Antifa Rostock: "Keine Beschönigung deutscher Zustände"
Kundgebung soll an Pogrom in Rostock-Lichtenhagen erinnern - Antifa Rostock kritisiert in Pressemitteilung gleichzeitig Bunt statt Braun
http://www.links-lang.de/0804/03.php
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