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22.11.2002
"Wir wollen eine Vielfalt von Meinungen" - Bildungsministerium bei Neonazi-Lehrer konzeptlos - Guido S. beteiligte sich an rassistischem Brandanschlag in Wismar
Was macht eine neonazistische Gesinnung aus? Die Hakenkreuzfahne, die das Schlafzimmer schmückt? Das Hitler-Portrait auf dem Nachttisch? Oder vielleicht faschistische Literatur im Bücherschrank? Alles nicht genug Gründe für den Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern. Lehrer Guido S. würde man erst entlassen, so der parteilose Hans-Robert Metelmann, wenn sich der Verdacht der Beteiligung an einem versuchten rassistischen Brandanschlag erhärten würde.
Auch Besuche von NPD-Veranstaltungen sind kein Grund zur Sorge für rechtslastige Pädagogen. Die Beteiligung an einer Straftat ist Grund für eine Entlassung, meint auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. Solch eine wurde dem 36-jährigen Guido S. zum Verhängnis.
In der Nacht des 4. Novembers versuchten zwei 18-jährige Neonazis, einen Asia-Imbiß in Wismar anzuzünden. Die Polizei traf jedoch ein, bevor sie das überall vergossene Benzin entzünden und damit auch das Leben eines Bewohners des Hauses gefährden konnten. Die beiden Wismarer waren der Polizei bekannt und dazu noch alkoholisiert, es klang ganz nach Routine für Beamte wie auch Medien bei faschistischen Mordversuchen.
Bis sich herausstellen sollte, dass Guido S. mitgemischt haben soll. Ihm wird vorgeworfen, die beiden Jugendlichen zur Tankstelle gefahren und ihnen einen Kanister für die fünf Liter Benzin geliehen zu haben. Seit dem 12. November sitzt der Musiklehrer wegen des Verdachts der Beihilfe zu versuchten Mord, versuchter schwerer Brandstiftung in Untersuchungshaft.
Guido S: Autoritär und elitär, auf Traditionspflege bedacht
"Uns geht das auf die Nerven." Am Gymnasium "Am Sonnenkamp" in Neukloster bei Wismar sind nicht nur die Schüler nicht erfreut über die plötzliche Aufmerksamkeit. "Wir sind in einem Rechtfertigungszwang, den wir nicht verdienen", beklagt sich Schulleiterin Astrid Paschen. Wie soll man auch auf eine solche Überraschung reagieren? "Sehr konservativ" und autoritär sei er zwar gewesen, der Kollege, und habe öfter mal das DDR-Schulsystem gelobt. Das "nachlassende Pflichtbewußtsein" der Schüler gefiel ihm nicht, ebenso wenig die mangelnde Elitenbildung an der Schule, "dass viele Leute auf's Gymnasium gehen, die da gar nicht hingehören". Aber deshalb ein Neonazi?
"Blutrünstige" Lieder lehrte er im Unterricht, über die sich sogar schon eine Mutter beschwert hatte. "Der hat (daraufhin, d.V.) nur gesagt, das seien alte deutsche Lieder, die bewahrt werden müssten und die wir mal an unsere Kinder weiter geben müssten", erzählt ein Mädchen der Presse. Für die Kollegen auch nur Traditionspflege?
Neonazis, das sind immer die anderen. Vornehmlich die mit Springerstiefeln, Lonsdale-Pulis und Glatze - was Guido S. nun auch plötzlich zugeschrieben wird. Dass zwischen konservativen Einstellungen, Autoritarismus und Neonazismus jedoch Zusammenhänge bestehen, das wollen die wenigsten zugeben. Weder in Wismar noch im restlichen (Ost-) Deutschland.
Wenigstens kann man sich hierzulande trösten, dass Guido S. nach Wismar gezogen ist, aus dem nordrhein-westfälischen Krefeld kommt. Nun hat es ihn noch weiter nach Osten verschlagen, er sitzt in Bützow in Untersuchungshaft, eine Haftprüfung wurde gestern von seinem Anwalt Rainer Wolf zurückgezogen: "Es konnte herausgearbeitet werden, dass mein Mandant die Beschuldigten nicht zu der Tat angestiftet hat." Wolf rechnet mit einer schnellen Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und einer Freilassung seines Mandanten gegen Auflagen.
An seinen alten Arbeitsplatz in Neukloster wird der 36-jährige nicht zurückkehren können: "Eindeutige Indizien", von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren soll, zwangen auch das Bildungsministerium zur Erklärung, dass Guido S. "nicht mehr zumutbar" sei. Das klänge besser, würden nicht noch Metelmanns Worte vom gleichen Tag nachhallen: "Eine Lehrerschaft ist keine Ballettgruppe. Wir wollen Vielfalt von Meinungen."
Alle Zitate aus der Presse
Artikel-Überblick
06.11.2002 - Brandanschlag verhindert - Zwei Jugendliche erwischt [OZ]
07.11.2002 - Netzwerk für Demokratie verurteilt Anschlag [OZ]
13.11.2002 - Lehrer nach versuchtem Brandanschlag in U-Haft [NDR, OZ, MAZ]
14.11.2002 - Einsamer Mann von nebenan - Lehrer Guido S. half bei Brandanschlag - Hitler-Bild und Nazi-Literatur in Wohnung [SVZ, OZ]
15.11.2002 - Zweite Hausdurchsuchung bei Lehrer - Mehr Propaganda-Material gefunden [OZ]
18.11.2002 - Bildungsminister besucht Gymnasium [SVZ]
19.11.2002 - Kein Zurück für Guido S. - Bildungsminster besuchte Gymnasien [OZ, SVZ]
19.11.2002 - Rechte tapezieren öffentliche Gebäude in Wismar mit hunderten Nazi-Plakaten [OZ, LN]
22.11.2002 - Lehrer bleibt in U-Haft - Haftprüfungsantrag zurückgezogen [SVZ, OZ]
06.12.2002 - Neonazi-Lehrer war bereits als Rechter bekannt - In DVU aktiv gewesen [SVZ]
28.02.2003 - Rechtsextremer Lehrer aus U-Haft entlassen - Staatsanwaltschaft legt Beschwerde ein [SVZ]
10.03.2003 - Lehrer wieder in Haft - Beschwerde der Staatsanwaltschaft erfolgreich [LN]
31.03.2003 - Lehrer ab Donnerstag wegen rechtsextremistisch motivierter Tat vor Landgericht [LN]
04.04.2003 - Lehrer wegen Mordversuch vor Gericht - Gestern Prozeßbeginn [OZ, SVZ]
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