18.09.2002
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!" - Karawane für die Rechte von Flüchtlingen macht in Neubrandenburg Halt
Es ist auch eine nette Geste, wenn Gutscheine verteilt werden. Die Menschen, die an diesem Montagmorgen in Neubrandenburg einen Gutschein in die Hand gedrückt bekommen, werden das als nett empfinden. Bis sich die Freude in Überraschung wandeln dürfte, wenn ihnen im Inneren des Faltblatts das diskriminierende Gutschein-System für AsylbewerberInnen erklärt wird, das für diese Bargeld ersetzt.
Diese Aktion ist nur eine von vielen, die im Rahmen der Karawane-Tour 2002 auf die vielen Sondergesetze für Flüchtlinge und MigrantInnen aufmerksam machen. Die seit Mitte Agust durch die Republik tourenden Menschen macht an diesem 16. September in Neubrandenburg Halt. Vor einem Fest im Flüchtlingsheim Friedland ist noch ein "alternativer Stadtrundgang" durch die Vier-Tore-Stadt angekündigt.
Residenzpflicht...
Dieser geht am Bahnhof los. Ein Redebeitrag von Flüchtlingen macht auf die Residenzpflicht aufmerksam, die es AsylbewerberInnen verbietet, ohne "Urlaubsschein" den ausgewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Rede wird mehrsprachig gehalten, wie alle, die noch folgen sollen. Etwa die nächste, die die Ziele der Karawane erklärt: Flüchtlinge organisieren sich selber, um für ihre Rechte einzutreten. "Wir werden nie schweigen und die Situation akzeptieren! Wir werden den Rassismus in euren Herzen und Köpfen auslöschen! Wir werden niemals Ruhe geben, solange die Situation für Flüchtlinge so ungerecht ist". Die Rede endet im Motto der Karawane: "Asylrecht ist Menschenrecht! Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!".
Es ist stimmungsvoll. Unter Getrommel wird gesungen und gerufen. "Residenzpflicht abschaffen! Rassismus abschaffen! Ausreisezentren abschaffen! Police Control abschaffen!" Um die 120 Menschen sind es, die sich nun Richtung Marktplatz bewegen. "Movement is our right" und "Abschiebung ist staatlich organisiertes Verbrechen" steht auf den Transparenten. Passanten schauen interessiert, nehmen teilweise interessiert Flugblätter und die Karawane-Zeitung entgegen. In ihr werden vielfältige Beispiele für staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus in Deutschland angeführt. Und in ihr muß immer noch erklärt werden, dass Asylrecht ein Menschenrecht ist.
Gutscheine...
Am Markt sind nicht wenige Menschen verwundert, als sie nach ihren Ausweispapieren gefragt werden. Schließlich bräuchten sie doch einen Urlaubsschein, um sich in Neubrandenburg aufzuhalten, wenn sie nicht aus der Stadt sind. Dass nun die Residenzpflicht "im Kampf gegen den Terrorismus" und aufgrund "guter kriminalitätsvorbeugender Erfahrungen" auch auf Deutsche ausgedehnt worden ist, machen drei Frauen den Besuchern des Marktplatzcenters in einer Aktion deutlich. Während sie so auf die für Flüchtlinge nicht geltende Bewegungsfreiheit aufmerksam machen, behandeln die RednerInnen der Karawane das für AsylbewerberInnen gültige Gutscheinsystem. Dieses zwingt sie, nur in bestimmten Geschäften einkaufen gehen, kein Wechselgeld erhalten und nicht sparen zu können. Viele Menschen bleiben stehen, lesen die Transparente oder reden mit den VerteilerInnen der Flugblätter.
und Abschiebesystem
Die Einkaufsstraßen Neubrandenburgs sind belebt, als es Richtung Rathaus geht. An mehreren Stellen wird getrommelt, Passanten werden aufmerksam, einige Schüler gehen interessiert mit. "Ich finde es gut, dass Menschen für ihre Rechte eintreten. Es müßten viel mehr sein", sagt ein älterer Herr. "Allen Menschen sollte es gleich gut gehen", ergänzt eine Frau. Am Rathaus wird die Rolle der Ausländerbehörde verdeutlicht. In Verwaltungsakten, mit einem Federstrich wird hier über Schicksale und oftmals auch Menschenleben entschieden. Sachbearbeiter, Amtsärzte, Sozialarbeiter sind gefügige Zahnräder in einem rassistischen System.
Bevor die Veranstaltung beendet wird und es zum Mittag ins AJZ geht, wird in einem Beitrag noch deutlich gemacht, dass es der Kapitalismus ist, der Armut schafft, "Naturkatastrophen" begünstigt und so erst aus Menschen Flüchtlinge macht.
Der Tag endet mit einem Fest im Flüchtlingsheim Friedland. Doch Gespräche über die Selbstorganisation von Flüchtlingen kommen nicht so recht zustande. Berührungsängste? "In einigen Heimen schüchtern die Heimleitungen Menschen ein, indem sie ihnen drohen, abgeschoben zu werden, wenn sie an der Karawane teilnehmen", hatte vorher ein Begleiter der Karawane erzählt. Andere sind durch den diskriminierenden Alltag verschüchtert, haben das Selbstbewußtsein verloren, für ihre Rechte einzutreten, erzählen andere AktivistInnen. Nicht die Flüchtlinge, die die Karawane bilden. Sie wurden bisher nicht einmal von der Polizei kontrolliert. "Im Wahlkampf trauen sich die Bullen das wohl nicht zu", meint einer.
Der Wahlkampf ist auch Thema der Abschlußdemonstration am 21. September in Berlin. "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme!" heißt es von aktiven Flüchtlingen. Schließlich soll nicht über Flüchtlinge entschieden werden, sondern sollen sie es selbst tun. Eine Forderung, die angesichts Diskriminierung und Rassismus auch und gerade für Mecklenburg-Vorpommern aktuell ist.
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