links-lang fetzt!

15.02.2002
Zerstörte Idylle - Nazi-Schläger versetzten Kleinstadt Crivitz in Angst und Schrecken


Die Ostseezeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe ausführlich über die jüngsten Ereignisse in Crivitz.

Seit Wochen terrorisiert eine Bande rechter Schläger die Kleinstadt Crivitz. Die 4600 Einwohner fühlen sich nicht mehr sicher. Viele trauen sich abends kaum noch auf die Straße.

Crivitz (OZ/dpa) Idylle kann so trügerisch sein. Crivitz zum Beispiel, eine von Hügeln und Wäldern umrahmte Stadt, sieht aus wie gemalt. Im See spiegelt sich die Kirche unter der Mittagssonne. Der Amtsgraben plätschert an Fachwerkhäusern vorbei unter engen Gassen hindurch. Und hier soll ein rechtes Nest sein?

Die Fakten sprechen dafür. Gestern wurde das vierte Mitglied einer angeblichen Schlägergruppe verhaftet, die den Ort südöstlich von Schwerin seit Wochen terrorisiert. Der 20-Jährige soll am 5. Januar einen Mann in dessen Wohnung ins Gesicht getreten haben. Die Polizei begrüßte er laut Schweriner Staatsanwaltschaft mit "Sieg Heil".

Nur ein Fall von vielen. Am Wochenende haben Jugendliche eine Faschingsparty im Gymnasium angegriffen. Zwei von ihnen, 19 und 21 Jahre alt, sitzen in Haft. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bewertet Auftreten, Erscheinungsbild und Sprüche als "rechtsradikal und gewaltbereit". Wenige Tage zuvor war ein Arzt vor einem Schreibwarenladen verprügelt worden. Eine Zeugin berichtet von sechs Skinheads, die das Opfer angepöbelt hatten, bis ihm ein 17-Jähriger ins Gesicht trat. "Ich dachte, der hört gar nicht mehr auf", sagt die Ladeninhaberin.

Nun fühlen sich die 4600 Crivitzer nicht mehr sicher. Der Schuldige ist ausgemacht: Die Landesregierung. "Erst eine halbe Stunde nach dem Anruf bei der Polizei ist ein Wagen gekommen", klagt Bürgermeister Ulrich Güßmann. Normal sind im Notfall 20 Minuten.

Normal aber scheint in Crivitz nichts mehr, seit im Zuge einer Strukturreform die Polizeistation verkleinert wurde. Seit November wird der Streifendienst von Sternberg aus organisiert. Deswegen, so ein Sprecher des Innenministeriums, fahren "nicht weniger Wagen durch Crivitz". Im Gegenteil - die Beamten seien nun sogar 24 Stunden im Einsatz. Da kann Ulrich Güßmann nur lachen: "Die Bürgermeister im Amtsbereich haben im Oktober in einem offenen Brief nach Schwerin protestiert". Erfolglos. "Abends und am Wochenende ist kein Beamter mehr da."

Jetzt haben die Neo-Nazis Narrenfreiheit, ist im Ort zu hören. Der Vorbau eines Hauses im Zentrum hat sich zum Szene-Treff entwickelt, an dem abends niemand vorbeigehen mag. Die Chefin der Bücherhalle etwa hat "da kein gutes Gefühl." Oft sei Alkohol im Spiel. "Die trinken hier ihr Bier, quatschen", erzählt ein Realschüler, der sich selbst regelmäßig dort aufhält. Andere sind weniger gelassen. "Vor kurzem haben Glatzen die fünf Ausländer der Realschule bedroht", erzählt eine Neuntklässlerin. "Die Lehrer trauen sich nicht ran." Die rechte Präsenz sei für eine Erzieherin nichts Neues: "Gegeben hat's die immer". Unklar sei nur, ob sie organisiert sind. "Die genießen es, mit Bomberjacken und Springerstiefeln Angst einzujagen", sagt Michael Vorbeck vom Jugendtreff. Einrichtungsleiter Peter Szeczinowski vermutet einen Zugezogenen, "der sie aktiviert hat".

Droht Crivitz zum braunen Nest zu werden? "Ja", meint Rita Bruschmer (50), "abends trauen sich viele nicht raus". Von Angst und Schrecken ist die Rede. "Das ist nicht übertrieben", sagt die Kellnerin einer Gaststätte. "Ich gehe allein nicht an den Glatzköpfen vorbei." Eine Verkäuferin hat oft "Angst, eine Bierflasche im Rücken zu haben". Ein anderer: "Die grüßen selbst die Polizei mit Hitlergruß". Die Polizei hat ein Bürgerforum einberufen. Eine organisierte Bande gäbe es aber nicht. Crivitz sei "konservativ, auf Ruhe und Ordnung bedacht", sagt Peter Szeczinowski. Werde die gestört, "ist der Aufschrei groß." Seit den Festnamen ist Crivitz ruhiger. "Die sind jetzt alle in Tramm", glaubt eine Frau, die mit einigen der Gruppe zur Schule ging. In Tramm steht ein Asylbewerberheim.