links-lang fetzt!

19.12.2001
"'Nigger', das sagt doch jeder normale Mensch" - Prozeß gegen die Peiniger des sudanesischen Studenten Ali S.


Ein Bericht über den Prozeß von Likedeeler online.

Wie bei einem Automechaniker, der eine lockere Schraube mit einer Ratsche festzieht. Ein kurzes metallisches Knarren. Und fest sind die Handschellen, oder locker. Verkeilt um die Hände von drei jungen Männern. Der jüngste18, der älteste 20. Angeklagt des versuchten Mordes an einem 24-jährigen Studenten aus dem Sudan.
Zusammengeschlagen und brutal misshandelt auf der Toilette der Greifswalder Dompassage. Seine Hautfarbe und der Zufall ließen ihn zum Opfer werden. Der Castor und der Zufall ermöglichten wahrscheinlich erst die Sühne. Der Castor? Ja, der und das kam so: Am 9. April, es war Montag vor Ostern, bekam ein damaliger Mitarbeiter von moritz TV die Information, in Greifswald hätte sich erneut ein rassistischer Übergriff auf einen ausländischen Studenten ereignet. Auf der Toilette der Greifswalder Dompassage hätten mehrere deutsche Jugendliche einen farbigen Studenten zusammengeschlagen und verletzt. Am darauffolgenden Mittwoch fand sich jedoch in der Greifswalder Presse keine Mitteilung zu diesem Vorfall. Bei einem Interview zum Castortransport nach Lubmin mit dem Chef der Polizeidirektion Anklam und seinem Pressesprecher fragte er noch am Mittwoch nach. Dort hieß es nur, dies könne nicht sein, davon hätte man sonst längst Meldung aus der Polizeiinspektion Greifswald bekommen. Gerade bei Gewaltdelikten gegen Ausländer sei man aufgrund der besonderen Bedeutung solcher Straftaten sehr sensibel. Fazit: Falschmeldung. Trotzdem wolle man noch mal in Greifswald nachfragen. Und plötzlich, der Vorfall hatte sich tatsächlich ereignet, war aber durch die Kollegen der PI Greifswald nicht weitergemeldet worden. Vorschriftswidrig. Bei einer anderen, angenehmeren Gelegenheit wäre die Bezeichnung "mit heruntergelassenen Hosen erwischt" sicher sehr passend gewesen. Plötzlich herrschte rege Betriebsamkeit und ein großer OZ-Artikel, ebenfalls vom moritz-TV Mitarbeiter angeregt, tat sein übriges. Natürlich ist es nur eine Vermutung, dass dieser Fall mit dem Stempel "Verfahren eingestellt, mangels Täterermittlung" in die ewigen Aktengründe eingegangen wäre. Doch der politische Druck verfehlte seine Wirkung nicht. Vertreter der Universität und der Stadt meldeten sich zu Wort und eine Demonstration von deutschen und ausländischen Studierenden führte vom Studienkolleg in der Makarenkostrasse auf den Greifswalder Markt. Auf dem Weg dorthin zeigte sogar der NPD-Chef von Greifswald, Spiegelmacher, Flagge, NPD-Flaggen vom Balkon seiner Wohnung, an der die Demonstration vorbeiführte. Knapp drei Wochen später war in der OZ zu lesen, der Überfall in der Dompassage stehe offenbar vor seiner Aufklärung. Mehrere Tatverdächtige seien festgenommen worden. Nach neuester Zeugenvernehmung habe die Tat jedoch keinen rechtsradikalen Hintergrund und die vermutlichen Täter seien ganz normale Jugendliche. Kein ausländerfeindliches Motiv, kein Eingang in die Statistik über rechtsradikale Gewalt im Land. Daran dürfte sich bis heute nichts geändert haben. Genausowenig wie an dem Wort, das sich Christian H., einer der Angeklagten, auf seine linke Hand tätowiert hat und in der Verhandlung versucht, ständig mit seiner Rechten zu bedecken. Früher waren die beiden "S" in "Hass" Runen, das Zeichen der SS. Aber nach Drohung eines Polizeibeamten, er würde ihn wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen anklagen, hätte er sich für straffreie "S" mit abgerundeten Bögen entschieden. Doch davon wird das Opfer Ali S. nichts bemerkt haben, denn Christian H. stand Schmiere und passte auf, dass niemand seine Freunde störte. Auch das Zeichen "88" auf der Faust von Heiko S., einem weiteren Angeklagten, wird Ali S. kaum bemerkt haben, während sie in sein Gesicht schlug und er das Bewusstsein verlor. Wenn doch, hat er es sicher nicht verstanden. Wie alles an diesem Abend.

Es war schlichtes Pech, das sich sein Weg mit denen von Ralf M., Christian H., Heiko S. und Maik M. (das Verfahren gegen ihn ist von dem der anderen abgetrennt) kreuzte. Am Abend begegnet er diesen vier auf der Toilette der Greifswalder Dompassage. Die, so oft dort wie betrunken, gehören zu einer Clique, die regelmäßig in der Dompassage abhängt und bekannt dafür ist, Passanten anzupöbeln. So auch auf der Toilette. Es fällt ein Wort, das Ali nicht versteht. Er fragt nach und erhält als Antwort ein Schimpfkanonade, die auf ihn niederprasselt und der sofort Fäuste folgen. Er geht zu Boden und verliert die Erinnerung an das nun folgende. Nur Fetzen aus Tritten, Blut und Notarzt lassen sich von ihm noch greifen. Zehn bis fünfzehn Minuten so einer der Angeklagten habe die ganze Sache gedauert. Zehn bis fünfzehn Minuten, in denen zwei die Tür sichern und zwei sich über den hilflosen und am Boden liegenden Ali S. hermachen. Zehn bis fünfzehn Minuten - so lang wie die "Tagesschau". Als seine Peiniger endlich von ihm ablassen, liegt Ali in seinem eigenen Blut. Nur mit Mühe kann er sich zu seinem vor der Passage wartenden Freund schleppen. In der gestrigen Verhandlung sagt der behandelnde Arzt in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie aus, er habe schon einige hundert "Rohheitsdelikte" gesehen, aber er hätte sich sehr gewundert, warum der Geschädigte bei diesen massiven Gesichtsverletzungen keine Frakturen davon getragen habe.

Alis Aussage fällt ihm sichtlich schwer. Mit gesenktem Blick spricht er so leise, dass nur sein Dolmetscher ihn verstehen kann. Nur nach Aufforderung schaut er in die Gesichter der Angeklagten und erkennt seine Peiniger wieder.

Für die Angeklagten ist die Sache klar. Ali, drei der vier Angeklagten sind größer und kräftiger als er, habe ganz klar die vier provoziert. Deshalb hätten sie ihn geschubst und "leicht" geschlagen. Außerdem sei, so Ralf M.: "mein Fuß irgendwie gegen sein Bein gekommen", aber getreten habe niemand. Das ist selbst seinem Anwalt zuviel. Er ermahnt seinen Klienten bestimmt, es hätte hier jetzt keinen Sinn, Dinge zu erzählen, die sich durch das rechtsmedizinische Gutachten leicht widerlegen lassen und bittet um eine Unterbrechung. Auch der Anwalt von Christian H. ist bei den Aussagen seines Klienten nervös und läßt ein Aktengummi wie einen Rosenkranz durch seine Hand kreisen. Sobald der vorsitzende Richter ihnen ihre polizeilichen Vernehmungen und gegenseitigen Belastungen vorhält, bleibt ihnen nichts anderes übrig, sich in ein kleinlautes "ich weiß nicht mehr" zu flüchten. Das ist ihr Recht, aber nicht ihr Vorteil. Trotzdem zeichnet sich so ein etwas anderes Bild ab. Von "Kampfmaschinen" die wie von Sinnen waren (Maik M. über Ralf M. und Heiko S.) und "ich dachte, der wär tot" (Maik M. über Ali S.) ist die Rede. Zahlen fallen: zehn bis fünfzehn Tritte auf Beine, Oberkörper, Kopf, Genick und Gesicht, mehrere Faustschläge ins Gesicht, insgesamt zehn Minuten (Heiko S.) oder sogar fünfzehn Minuten (Christian H.) Dauer der Misshandlung. Aufgehört hätten sie, weil er "genug hatte", denn "es war mir klar, dass er sterben kann" (Christian H.). Auch das Motiv wird durch die Aussagen etwas klarer. Christian H. und Heiko S. seien zur Tatzeit beide "rechts" gewesen, erklären sie. Ausländer mögen sie nicht, "raus mit den Leuten". Sein: "Ich wurde wütend auf den Nigger" sei Heiko S. in der Vernehmung nur so rausgerutscht und außerdem verwende das Wort "doch jeder normale Mensch". Auf die Frage, ob die Tat etwas mit dem Ausländersein von Ali S. zutun hat, möchte er lieber nichts sagen. Ebenso zur Bedeutung der Zahl "88" auf seiner Hand. Sie gefalle ihm eben. Unklar bleibt die Frage, mit welchen Schuhen er zugetreten habe. Stahlbewehrte "Doc Martens" wie es Maik M. in der Vorvernehmung behauptete oder einfache Turnschuhe. Beim Blut an bei ihm beschlagnahmten Turnschuhen handelt es sich laut Rechtsmedizin jedenfalls nicht um das Blut von Ali S.

Insgesamt scheinen die drei nicht so recht die Schwere des Verbrechens zu begreifen, das ihnen vorgeworfen wird. Sie wirken wie drei Schuljungen, die zum Direktor zitiert worden sind. Heiko S. lächelt seiner Mutter verlegen zu, als ginge es um eine eingeworfene Scheibe bei den Nachbarn. Sie verstehen nicht, wenn der Gerichtsmediziner von "oberflächlicher Hautläsion durch tangentiale Gewalteinwirkung" oder die psychiatrische Gutachterin vom fehlenden "adäquaten Selbstwertkonzept" sprechen. Aber sie haben damals verstanden, was es braucht, um einen Schwächeren, Wehrlosen zu malträtieren. Schließlich trägt es einer von ihnen auf seiner Hand.

Über ihr Schicksal entscheiden nun andere. Das Urteil: Es wird zu Beginn des neuen Jahres gesprochen.