links-lang fetzt!

07.12.2001
Ende der Nachsicht - Spiegelmacher bekommt erstmals wieder Haftstrafe


Ein Bericht über den Prozeß gegen Maik Spiegelmacher von Likedeeler online.
Amüsant zu lesen ist auch eine "Diskussion" zwischen dem gechassten "Freien Kameraden" Axel Möller und einem der NPD-Spitzenkandidaten, Mario Kannenberg, im Forum von stoertebeker.net. Mensch fragt sich, ob die Nazis aus Vorpommern überhaupt eine Antifa brauchen oder sich nicht selbst gut genug runterwirtschaften können :-)


"Skin", immer wieder "Skin". Manchmal auch "Hass". Je nachdem welche Hand er ständig zum Mund führt. Je nachdem an welchen Nägeln er kaut, je nachdem sind "Skin" und "Hass" auf seinen Fingern zu lesen. Eintätowiert. Vor vielen Jahren. Jugendsünden, wie er einmal in einem Interview sagte. Und sie sind oft zu lesen. Sehr oft. Denn Spiegelmacher ist nervös, extrem nervös. Ständig zucken seine Gesichtsmuskeln, ständig runzelt er die Stirn, kneift die Brauen zusammen, verzieht den Mund nach hinten, rollt mit seinen Augen, läßt seinen Blick durch den Saal kreisen. Zu seinem Anwalt Dr. Eisenecker, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, zur vorsitzenden Richterin, zur Staatsanwältin, zu den Zeugen, die ihn eigentlich entlasten sollen. Dabei hatte er sich noch vor dem Amtsgericht unter seinen Kameraden betont lässig gezeigt. Rund 30 NPD- Anhänger hatten sich am Karl-Marx-Platz eingefunden und bekundeten mit Fahnen und Transparenten ("Freiheit für Maik Spiegelmacher") ihre Solidarität mit ihrem Anführer. Der genoß dies sichtlich. Keine Spur von Nervosität, locker, lachend, permanent grinsend. "Seht her, mir kann nichts passieren" oder aber "mir macht das über mir schwebende Schwert nichts aus". In den Saal zehn, noch schnell ein Maskenwechsel. Das Lachen weicht einem angestrengten Grinsen. Manchmal reicht es nicht einmal mehr dafür und die unkontrollierten Zuckungen beherrschen wieder sein Gesicht. Grauer Pullover, blaue Jeans, leise Schuhe, nur nicht brutal wirken. Ganz im Gegensatz zu seinen Intimi. Schwere Stiefel, Bomberjacken, hochgekrempelte Militärhosen und immer breitbeinig wippend, als würde ihnen dort etwas wehtun.

Der Saal ist völlig überfüllt. Nazis belegen rund dreiviertel der Plätze. Nicht noch mehr, weil sich einige andere beim Eintritt an ihnen vorbeidrängelnd einen Platz sichern konnten. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß, nur muß sie vorläufig draußen bleiben. Es ist kein Platz mehr. Die Informationspolitik des Gerichts ist ohnehin fragwürdig. Pressevertreter hatten zum Teil erst einen Tag vorher vom Prozeß erfahren und interessierten Bürgern, die sich telefonisch nach der genauen Uhrzeit erkundigen wollten, wurde vom Gericht erklärt,dass auf Anweisung der Richterin diese vorher nicht mitgeteilt würde, sondern auf einem Tagesplan erst am Prozeßmorgen nachzulesen sei. Dabei ist Spiegelmacher einigermaßen bekannt in der Stadt und für viele Greifswalder und Greifswalderinnen ein Synonym für das häßliche Gesicht Greifswalds und die traurigen Ereignisse der letzten Jahre in dieser Stadt. Und es sollte nicht um Apfelklau oder Schwarzfahren gehen, sondern um eine Körperverletzung und eine Trunkenheitsfahrt innerhalb einer mehrjährigen Bewährungszeit. Im November letzten Jahres soll Spiegelmacher einen Bekannten am Kopf verletzt haben und im April diesen Jahres stellten Greifswalder Polizisten den Chef der örtlichen NPD auf einer nächtlichen Autospritztour mit mehr als 1,5 Promille Alkohol im Blut. Zwei Vorwürfe, die vor dem Hintergrund seiner Vorstrafen und seiner gerade vor ein paar Tagen abgelaufenen Bewährung bei Verurteilung mit Sicherheit eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen würden. Außerdem will Spiegelmacher im nächsten Jahr zu mehreren Wahlen antreten und wird im Wahlkampf als Greifswalder Vorzeigefigur gebraucht.

Es steht einiges auf dem Spiel. Dies wissen auch die Zeugen, die ihn entlasten sollen. Von der Körperverletzung bekam die Polizei durch Zufall während einer anderen Vernehmung Kenntnis. Für deren Ermittlung postulierte die Staatsanwaltschaft ein öffentliches Interesse und begann deshalb auch ohne Anzeige des Geschädigten zu ermitteln. Karlsburg, November 2000: Auf einer Geburtstagsfeier kommt es zwischen Spiegelmacher und seinem Bekannten W. zum Streit über Musik, der dann im Hausflur angeblich durch gegenseitiges Schubsen zum Sturz und Kopfverletzung von W. führt. Mit Schubsen hätte der Verletzte angefangen. Spiegelmacher wollte nur die Distanz wieder herstellen und gab seinem mehr als einen Kopf kleineren Kontrahenten retour. Der Verletzte, stark alkoholisiert, sei getaumelt und mit dem Kopf gegen eine Stange gestoßen. Spiegelmacher, ganz der Samariter, hätte sich sofort um den Verletzten gekümmert und dann mit allen wieder munter bis zum nächsten Morgen weitergefeiert. W. bestätigt im Wesentlichen Spiegelmachers Version und betont, daß auf alle Fälle er, im Habitus rund die Hälfte von Spiegelmachers Volumen, mit Schubsen angefangen habe und es somit alles auch seine Schuld sei. Er spricht sehr leise und wirkt ängstlich. Die Richterin muß ihn mehrfach ermahnen, doch bitte lauter zu sprechen. Bei der Befragung über seine später widerrufenen Aussagen bei der Polizei, in denen er eine andere Version lieferte, wirkt er völlig hilflos. Auf die Frage, wer ihm denn beim schriftlichen Widerruf geholfen habe, eine Bemerkung darüber war ihm gerade entwichen, ist W. überhaupt nicht gefaßt. Hilflos fragende Blicke an Spiegelmachers Anwalt Eisenecker bleiben unbeantwortet. Nach einigem Stammeln erklärt er, er wisse es nicht mehr. Die nach ihm befragten Kriminalbeamten geben an, daß W. in der ersten Vernehmung eine andere Version lieferte und mit zunehmender Nachfrage offenbar immer mehr Angst bekam. Angst vor den Konsequenzen seiner Aussage?

Unfreiwillig mehr Licht bringt ein weiterer Zeuge, der eigentlich auch entlastend wirken soll. Durch eine übertrieben laxe Art und alles ins Lächerliche ziehende Antworten bestätigt H., der an diesem Abend eine Bekannte von der Feier abholen wollte und so nur zufällig anwesend war, seine bei der Polizei gemachten Aussagen. Beim Öffnen der Wohnungstür hätte W., wahrscheinlich jemand anderen erwartend, mit blutendem Kopf und einem Knüppel in der Hand einen Satz zurück gemacht. Spiegelmacher selbst war nicht anwesend. Insgesamt sei die Stimmung sehr niedergeschlagen gewesen und H. hatte den Eindruck, die in der Wohnung verbliebenen, inklusive W. hätten Angst vor Spiegelmachers Rückkehr gehabt. Eine weitere Zeugin, die in ihren polizeilichen Vernehmungen Spiegelmacher schwer belastet hatte, wird nicht gehört, da sie ein Attest vorweisen kann. Darin bescheinigte ihr ein Arzt, eine Befragung könnte ihr und ihrer Schwangerschaft schaden.

Angst, physischer oder psychischer Druck oder was auch immer - wie weit Spiegelmachers Kameraden gehen, um ihren Führer zu entlasten, zeigt sein ehemaliger Mitbewohner in der Befragung zum zweiten Tatkomplex. In der Nacht zum 13. April 2001 beobachteten zwei Polizeibeamte in der Makarenkostraße ein ungewöhnlich langsam fahrendes Fahrzeug. Mit dem Verdacht auf eine sogenannte "Trunkenheitsfahrt" stoppten sie den Wagen und kontrollierten seinen Fahrer. Bei diesem handelte es sich, da waren sich beide Beamten hundertprozentig sicher, um Maik Spiegelmacher. Beide hatten den Wagen eine Zeit lang verfolgt und die Insassen und Türen nicht aus den Augen gelassen. Der Fahrertür entstieg Spiegelmacher. Sein nächtlicher Spritztourkumpan S. und er behaupten aber, S. sei gefahren und Spiegelmacher lediglich Beifahrer gewesen. Beide seien noch vor Ankunft der Polizeistreife ausgestiegen und vor das Auto gegangen, damit Spiegelmacher, von der Beifahrerseite kommend, S. als Fahrer die Fahrzeugpapiere geben konnte. Dabei hätten die Polizisten sie verwechselt. Das ist selbst der Staatsanwältin etwas zu himmelblau. Sie läßt Spiegelmachers "Fahrer" vereidigen. Der stand noch vor Prozeßbeginn auf dem Gerichtsvorplatz bei einem Transparent: "Wer die Wahrheit nicht erkennt, ist ein Dummkopf. Wer sie aber eine Lüge nennt, ein Verbrecher" Nun wird er wahrscheinlich selbst die Konsequenzen des Spruchs zu spüren bekommen, denn auch wer die Lüge Wahrheit nennt ist nach dem Gesetz ein Verbrecher. Ein Meineid wird laut Strafgesetzbuch mit mindestens einem halben Jahr Freiheitsentzug bestraft. Während Spiegelmachers Vorstrafen verlesen werden, seine Bewährungszeiten erörtert werden und selbst seine Bewährungshelferin lieber gar keine Sozialprognose abgeben möchte, sind seine Tätowierungen an der Hand ununterbrochen zu lesen. Nur in der Pause, vor seinen Kameraden zeigt er sich wieder betont locker.

Für die Staatsanwältin gestalten sich beide Fälle als klare Sache. Ihr Plädoyer ist dementsprechend kurz und bündig. Neun Monate Gefängnis ohne Bewährung, kein neuer Führerschein in den nächsten 14 Monaten. Anders Rechtsanwalt Eisenecker. Sich der schlechten Karten seines Mandanten bewußt, holt er weit aus. Sehr weit. Die Kopfverletzung eine Lappalie wie bei spielenden Kindern und eher ein Unfall als eine Körperverletzung. Die ganze Ermittlung laut einem BGH-Urteil nicht rechtens. Die Polizeibeamten durch marginale Abweichungen in ihren Aussagen per se unglaubwürdig. Seine Forderung: Freispruch in beiden Fällen.

Doch von Eiseneckers berühmt berüchtigter Rethorik läßt sich die Vorsitzende nicht beeindrucken. Ihr Urteil lautet acht Monate Freiheitsentzug ohne Bewährung. Vierzehn Monate keinen Führerschein. Die Kosten trägt der Angeklagte. "Skin" und "Hass" verschwinden in der Jackentasche und sein Gesicht bleibt stehen. Erstarrt in einer Mischung aus Wut und Unglauben.