links-lang fetzt!

"Flüchtlinge sind kein Teil der Gesellschaft"

Ein Interview mit der Antirassistischen Initiative Rostock [A.I.R.] über ihre Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern.

15.03.2006

Jonas ist aus der Türkei nach Deutschland gekommen, Vincent ist deutscher Herkunft.

Könnt ihr einleitend kurz sagen, wie euer Selbstverständnis aussieht?

Jonas: Wir sind eine Gruppe, die gegen jede Form der Diskriminierung ist, von kultureller, politischer bis hin zu nationaler Unterdrückung. Vorurteile in der Gesellschaft, die sich auf Konstruktionen wie Nation oder gar Rasse berufen, wollen wir aufbrechen, widerlegen und angreifen. Fast die Hälfte der aktiven Mitglieder in unserer Gruppe sind Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, mit verschiedener Herkunft, verschiedenem Glauben, verschiedenen politischen Richtungen. Inhaltlich verweigern wir uns einer Festlegung, wie sie in linken Gruppen üblich ist.

Vincent: Grundlegend wollen wir antirassistische Themen und antirassistische Politik in die Öffentlichkeit bringen. Wir leisten also dazu Pressearbeit, beteiligen uns an dementsprechenden Aktionen und setzen auch einen Schwerpunkt auf die Verbindung von Kultur und Politik. Das machen wir mit Filmwochen und Einzelveranstaltungen. Eine erste Woche des antirassistischen Films war auch unsere erste gemeinsame Veranstaltungsreihe, nachdem wir uns vor drei Jahren durch die Zusammenarbeit in einer Ausstellung über das Leben von Menschen in der Illegalität kennen gelernt haben.

Heißt das, dass ihr nicht nur die deutsche Gesellschaft kritisiert, sondern auch zum Beispiel Rassismus unter Migrantinnen und Migranten thematisiert?

Jonas: Ja, es ist wichtig, sich nicht nur mit rassistischen Argumenten der herrschenden Gesellschaft zu beschäftigen, sondern auch mit den Meinungen von Minderheiten. Wenn es dazu kommt, versuchen wir uns dagegen zu positionieren.

Vincent: Das ist in der antirassistischen Arbeit eine Gratwanderung, da wir mit Migrantinnen und Migranten zusammen arbeiten und zusammen kämpfen, deren politischen Hintergrund wir erst einmal nicht kennen.

Sind das Probleme, die sich vorrangig auf der persönlichen Ebene abspielen, oder sind sie auch in der politischen Arbeit aktuell?

Vincent: Zum einen spielt sich das auf der persönlichen Ebene ab, wenn jemand zum Beispiel sehr in einem traditionellen Rollenverhalten verhaftet sind. Das diskutieren wir aus, aber es gibt da schon klare Positionen.

Jonas: Zum Beispiel akzeptieren wir niemals sexistische Verhältnisse. Auf der Anti-Lagertour 2004 zum Beispiel war es so, dass die Frauen von Flüchtlingen sich immer wieder um die Küche gekümmert haben. Das haben wir kritisiert. Später bei Nachbereitungen haben wir nochmals gesagt, dass wir nicht wollen, dass nur Frauen alles vorbereiten. Oder auch im Rostocker Alltag. Wir helfen allen Leuten auf der persönlichen Ebene. Aber kommt es zu politischen Auseinandersetzungen zum Beispiel zwischen Anhängern der Grauen Wölfe aus der Türkei und deren Gegnern, würde ich niemals die Grauen Wölfe unterstützen. Die sind genauso wie die Rechten hier. Aber Unterstützung wie eine Begleitung zur Ausländerbehörde, das mache ich unabhängig davon gerne.

Vincent: Trotzdem verstehen wir uns nicht als Initiative, die Flüchtlingssozialarbeit macht.

Jonas: Wir handeln auf der politischen Ebene.

Wie sahen diese politischen Aktionen bisher aus?

Vincent: Das sind im Grunde genommen die antirassistischen Themenvor Ort. Das betrifft einmal die Landesgemeinschaftsunterkunft in Boizenburg, gegen die wir uns deutlich in Pressemitteilungen oder mit der Beteiligung an der Anti-Lager-Action-Tour im letzten Jahr positioniert haben. Wir sprechen uns generell gegen Isolierung in so genannten Gemeinschaftsunterkünften aus, insbesondere wenn es sich um sogenannte Dschungelheime handelt. Das Lager in Retschow im Landkreis Bad Doberan an die Öffentlichkeit zu bringen, scheiterte jedoch. Es blieb dann bei kleineren Aktionen. Doch das ist leider in der Flüchtlingsarbeit nicht selten, hier gibt es sehr viele Ängste und Hoffnungen. Das ist einer unserer Schwerpunkte, das Lagersystem in Deutschland zu thematisieren und anzugreifen. Die andere Sache sind die aktuell anstehenden Abschiebungen, gegen die wir seit dem Frühsommer 2005 mit verschiedenen Aktionen aktiv sind. Sei es über die Presse, über Eingaben direkt an das Innenministerium, über Unterschriftensammlungen oder Aktionen wie Kundgebungen.

Jonas: Wir versuchen, den rassistischen Hintergrund deutlich in die Öffentlichkeit zu bringen, der dahinter steckt, dass eine Gesellschaft die schwache Minderheit der Flüchtlinge durch die Asylpolitik und das Lagersystem ausgrenzt und abwertet. Die Kampagne für einen Abschiebestopp nach Togo, mit der wir uns lange Zeit beschäftigt haben und es auch weiterhin versuchen, spielt für uns eine wichtige Rolle. Natürlich werden auch andere Flüchtlinge und Migranten in andere Länder abgeschoben. Für die Togolesen haben wir uns jedoch deshalb eingesetzt, weil die Mehrheit der Asylbewerberinnen und Asylbewerber in diesem Bundesland aus Togo kommt. In einem Bericht des Auswärtigen Amtes steht einerseits, dass es keine Gefahr für Oppositionelle in dem Land gäbe, aber andererseits gibt es Warnungen an Reisende, dass es dort gefährlich sei. Daran zeigt sich wiederum deutlich, dass für Einheimische andere Maßstäbe gelten als für Flüchtlinge. Es spielt jedoch auch eine große Rolle, dass die Togolesen selber sehr engagiert sind und gegen die Abschiebungen kämpfen. Wir wollen nicht zu Leuten gehen und ihnen sagen, was für Probleme sie haben und dass sie etwas dagegen unternehmen müssen, oder gar stellvertretend für sie aktiv werden.

Das heißt, dass ihr mit eurem Know-How und eurer Erfahrung die Leute nur unterstützt, wenn sie von sich aus etwas machen wollen?

Vincent: So ausschließlich würde ich das nicht formulieren. Gewisse Themen wollen wir auch selber an die Öffentlichkeit bringen. Etwa das Abschiebelager in Horst bei Boizenburg oder der Alltagsrassismus, den wir etwa im Rahmen von Einzelveranstaltungen thematisieren.

Nun ist ja für Flüchtlinge das Problem der Abschiebung nicht nur eines von politischen Kampagnen, sondern kann bis zu einer Frage von Leben und Tod werden. Wie wirkt sich das auf eure Arbeit aus?

Vincent: Natürlich kommt es da schon zu Frustration, wenn sich die Verhältnisse einfach nicht bessern. Dass seit einem dreiviertel Jahr das Innenministerium keinen Deut auf unsere Argumentation eingeht ist für Flüchtlinge, die direkt betroffen sind, ernüchternd. Obwohl ich damit nicht sagen will, dass wir damit nichts erreicht haben. Wir haben das Thema ziemlich weit in die Öffentlichkeit gebracht und erreicht, dass inzwischen Parteien wie die Grünen oder die Linkspartei.PDS die Situation in Togo auf ihre Tagesordnung gesetzt haben, obwohl sie auch schon vor einem halben Jahr genauso schlecht war wie jetzt.

Wie sieht eure Zusammenarbeit mit Parteien aus, die in der Regierung sitzen und die damit für Abschiebungen oder eine rassistische Politik verantwortlich sind?

Jonas: Wir arbeiten mit diesen Parteien nicht zusammen, wir organisieren nicht gemeinsam etwas, sondern wir fordern die Öffentlichkeit und alle Parteien auf, etwas zu tun. Soweit diese Unterstützung aus der linken Szene kommt, ist sie immer wieder herzlich willkommen. Zu der PDS und den Grünen versuchen wir aber Distanz zu wahren. Bei deren Entscheidungen spielt natürlich eine Rolle, dass die PDS hier in Mecklenburg-Vorpommern an der Regierung sitzt. Aber sie hat auch immer wieder an der Lager- und der Abschiebepolitik Kritik geübt.

Vincent: Auch, wenn es manchmal recht kooperativ ist, bleibt unsere Kritik an der Linkspartei.PDS, dass sie nicht konsequent genug gegenüber dem Innenministerium auftritt.

Ihr habt bisher recht greifbare Kampagnen wie die gegen die Dschungelheime oder das Abschiebelager in Horst geführt. Geht ihr in euren politischen Forderungen auch darüber hinaus?

Vincent: Prinzipiell stehen wir für das Recht auf Bewegungsfreiheit jedes Menschen, positionieren uns gegen die europäische Flüchtlingspolitik, die auf die Festung Europa hinausläuft, und unterstützen entsprechende Aktionen, Aufrufe, Demonstrationen.

Jonas: Es ist so, dass wir Neoliberalismus oder den sogenannten Globalismus kritisieren. Ein Schwerpunkt ist die Forderung nach einem Bleiberecht für jeden Ort, an dem Menschen leben wollen. Sie sind nicht nur auf den Norden der Welt bezogen, der seine Grenzen verstärkt, sondern gleichzeitig auch auf die starke Ausbeutung in den ärmeren Ländern und die dortige Umweltzerstörung, die Zerstörung der Landwirtschaft und die Zerstörung der heimischen Industrie. Die kapitalistischen Länder des Nordens unterstützen dort Diktatoren finanziell, so dass sich die Menschen woanders eine Existenz suchen müssen. Deshalb fordern wir nicht nur, dass sie sich frei bewegen können, sondern auch, dass sie in ihrem Heimatland gerecht und sozial leben können.

Vincent: Unsere Forderungen greifen auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen an und gehen über einen engstirnigen Antirassismus hinaus. Wir haben da, einfach gesagt, ein ziemlich undogmatisches linkes Grundverständnis mit einem emanzipatorischen Anspruch.

Ist das ein Luxus, den ihr euch in Rostock leisten könnt, wo Rostock es eine ausgeprägte Zivilgesellschaft gibt, die sich antirassistischer Themen annimmt, wo die Unterbringung von Flüchtlingen und die politische Selbstbestimmung von Migranten etwa im Ausländerbeirat ganz anders verläuft als im Rest des Landes? Wie sieht es mit der Zusammenarbeit mit Initiativen in anderen Städten des Landes aus?

Vincent: Wir haben das Problem der langen Wege. Es gibt keine richtige Vernetzung der Initiativen hier in Mecklenburg-Vorpommern, von denen es sowieso viel zu wenige gibt. Es beschränkt sich auf eine aktive antirassistische Gruppe in Greifswald, das Europäische Bürgerforum und den Flüchtlingsrat. Bei einem Vernetzungstreffen innerhalb der Togo-Kampagne waren viele Flüchtlinge anwesend, aber trotz breiter Einladung wenige deutsche Antirassisten oder Antifaschisten. Mit Trägern aus Rostock gibt es über Veranstaltungen hinaus wenig oder gar keine Zusammenarbeit. Sie haben sich genauso wie der Ausländerbeirat nicht an der Kampagne beteiligt, die Abschiebung in Diktaturen zu stoppen.

Warum ist die Resonanz von linken Gruppen aus Mecklenburg-Vorpommern so gering?

Vincent: Zum einen ist das Thema Antirassismus in reinen Antifa-Gruppen nicht das wichtigste Thema. Eher hatten wir gehofft, aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich mehr Unterstützung zu bekommen. Andererseits ist es ja auch so, dass die linken Strukturen im Land personell sehr dünn sind. Die politisch aktiven Leute sind inzwischen sehr wenige geworden und auch die Zielrichtungen haben sich in den letzten Jahren ausdifferenziert.

Jonas: Im zivilgesellschaftlichen Bereich wie etwa Bunt statt Braun oder dem Ausländerbeirat gibt es außerdem eine gewisse Distanz. Ihr Arbeitsbereich erstreckt sich auf anerkannte Flüchtlinge oder Migranten, die schon einen Aufenthaltstitel haben. Sie beschäftigen sich kaum mit Flüchtlingen, die in Asylbewerberheimen wohnen. Die gesellschaftlichen Strukturen verhalten sich auch immer im Rahmen der Gesetze. Und nach der deutschen Gesetzgebung sind Flüchtlinge kein Teil der Gesellschaft. Wenn sie noch keinen festen Aufenthaltstitel haben, ist es unklar, ob sie hier bleiben und ein Teil der Gesellschaft werden oder nicht. Dabei ist es egal, ob sie seit 10 oder 15 Jahren hier leben, denn die Gesetze sind einfach so. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen nehmen das nicht wahr, sondern achten nur auf anerkannte Flüchtlinge, in Rostock und in Deutschland allgemein.

Bemerkt ihr denn, dass euch, sei es in der Verwaltung der Ausländerbehörden, sei es in der Landesregierung, entgegengearbeitet wird, dass ihr in eurer Arbeit behindert werdet?

Jonas: Auf jeden Fall! Bei der Togo-Kampagne wurden wir vom Innenministerium als Radikale abgetan und stigmatisiert. Bei der Anti-Lager-Tour wurden wir von einem Politiker, der im Bundestag sitzt, als Berufsdemonstranten und Chaoten bezeichnet. Da wird mit Vorurteilen versucht, die linke Szene bis hin zu Menschenrechtsorganisationen zu marginalisieren und von der Gesellschaft zu trennen.

Vincent: Unsere Forderungen sind nicht immer diplomatisch formuliert, wie es von anderen Organisationen der Fall ist, die parteigebunden sind oder einen festen Platz in der Gesellschaft haben. Wir sind schon ziemlich fordernd und eindeutig.

Habt ihr schon Schwerpunkte für dieses Jahr gesetzt?

Vincent: In diesem Jahr steht ziemlich viel an. Wir haben gesagt, dass wir uns nicht mehr ausschließlich auf Togo konzentrieren möchten. Ende März werden wir zum dritten Mal eine antirassistische Filmwoche durchführen. Dann möchten wir uns an den Vorbereitungen der globalisierungskritischen Bewegung für das Jahr 2007 beteiligen und werden in unserer Gruppe inhaltliche Debatten führen müssen.

Jonas: Wir werden niemals die Flüchtlingspolitik hier im Land akzeptieren. Flüchtlinge werden als Kriminelle abgestempelt, obwohl ihre einzige Schuld darin besteht, dass sie vor einer Gefahr geflohen sind. Sie werden bestraft, ohne eine Straftat begangen zu haben. Das ist eine Diskriminierung und soll Druck auf jene Menschen ausüben, die sich nicht anpassen, sondern woanders selbstbestimmt in Freiheit leben wollen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Vom 20. bis zum 26. März findet in Rostock die antirassistische Filmwoche statt. Mehr Infos auf diesem Flyer und auf der Homepage der Antirassistischen Initiative Rostock.