links-lang fetzt!

Bannmeilchen am Haff

In der Ueckermünder Innenstadt soll unter dem Label Antifa die Demonstrationsfreiheit abgeschafft werden

28.10.2005

Der für "Ordnung und Sicherheit" zuständige Ausschuss will in der Ueckermünder Innenstadt keine anmeldepflichtigen politischen Aktionen mehr zulassen. Zumindest haben die Mitglieder vereinbart, der Stadtvertretung einen solchen Beschluss zu empfehlen. Dieser Bannkreis soll insbesondere den sanierten Markt der 11000 Einwohnerstadt am Haff betreffen und nicht nur Kundgebungen oder Demonstrationen einschliessen. Der Ordnungsamtsleiter will sogar eingreifen, wenn "...jemand mit Plakat und Megaphon durch die Gegend marschiert...". Wie der Nordkurier meldet, wurde dieses Vorgehen einstimmig beschlossen. Ein Blick auf die Zusammensetzung des Ausschusses offenbart eine Koalition von jeweils drei PDS- und CDU-Vertreter/innen, sowie je einem Mitglied von FDP, SPD und Die Sozialen. Die Einrichtung einer solchen Verbotszone in einer pommerschen Kleinstadt wäre ein Novum und ist rechtlich wahrscheinlich unhaltbar. Politisch ist allein diese Empfehlung schon ein Skandal.

Herrschaftsförderndes Instrument

Bannmeilen wurden historisch zunächst als "standortförderndes" Instrument in der Umgebung mittelalterlicher Städte gegen umherreisende Händler eingesetzt, um die heimische Wirtschaft vor Konkurrenz zu schützen. Im letzten Jahrhundert existierten diese Sondergebiete eher als herrschaftssicherndes Instrument. In einem festgelegten Umkreis um einige Parlamente waren Versammlungen verboten, um die Abgeordneten vor direkte Einflussnahme zu "schützen". So wurde ein solches Gesetz in der Weimarer Republik eingeführt, nachdem das Militär über vierzig linke Arbeiter erschoss, die anlässlich einer Beratung über das Betriebsrätegesetz aus Protest in die Nationalversammlung eindringen wollten. Um diesen "Schutzgedanken" zu betonen und nicht den Anschein zu erwecken, Proteste gegen Staatspolitik verbannen zu wollen, werden Bannmeilen heute "befriedeter Bezirk" genannt. In letzter Zeit wurde der Begriff wieder aktuell im Zusammenhang mit Demonstrationsverboten in der Nähe von Gedenkstätten, wie dem Holocaustmahnmal in Berlin.

Grundrechtsabbau gegen Rechts

Auch in Ueckermünde werden rechte Demonstrationen als eigentlicher Grund für dieses Vorgehen genannt. Nur gibt es auf dem Markt der Stadt kein Mahnmal. Während in der Gedenkstättendiskussion der Respekt vor den NS-Opfern als Argument angeführt wird, geht es in Ueckermünde um reine Imagepflege und finanzielle Erwägungen. Schon als bei der Bundestagswahl in einem Ueckermünder Wahllokal über 20 Prozent der Stimmen an die NPD gingen, machte sich der Hauptamtsleiter dann auch zunächst ums Stadtimage Sorgen. Niemand solle nach diesem Ergebnis denken, dass in Ueckermünde "täglich Menschen mit Springerstiefeln durch die Stadt marschieren". Ein Ausschuss-Mitglied der PDS bringt es auf den Punkt: "Die Stadt hat viel in den Marktplatz investiert." Hintergrund sind offenbar die letzten Aufmärsche von NPD und den heimischen Kameradschaften in Ueckermünde. Deren Anführer Giessen, Gielnik und Co. belasten mit ihren ewig gleichen und langatmigen Hetztiraden nicht nur die Geduld des eigenen Klientels, sondern reden damit auch regelmäßig den Marktplatz leer. Tourist/innen verließen beim Eintreffen der Neonazis angrenzende Cafés und Gaststätten. Das will die Stadtverwaltung demnächst verhindern. Das der Propagandaeffekt rechter Aufmärsche eigentlich in dichtbewohnten Stadtgebieten wie Ueckermünde Ost größer ist als auf leeren Marktplätzen spielte bei der Entscheidungsfindung wahrscheinlich keine Rolle. In Neubauvierteln treiben sich keine Tourist/innen rum.

Der Reflex, Neonaziaktionen allein mit Repressionen und Verboten zu begegnen, ist nicht neu. Während staatliche Rechtsmittel gegen Gewaltaufrufe, Revisionismus oder Leugnung des Holocaust noch akzeptabel sind, sorgen (erfolglose) Verbotsverfügungen gegen irgendwelche Naziaktionen nicht nur für Freude bei den Nazi-Anwält/innen, sondern auch für Unwohlsein bei einigen Gegner/innen der Rechten. Nicht nur, dass sich der Protest gegen Rechts vielerorts im Unterschreiben eines Verbots erschöpft, manche Verfügungen sind so unverantwortlich schlecht begründet, dass sie den Nazis mehr nützen als schaden. Zum einen, weil die Rechten juristischen Auseinandersetzungen gewinnen und sie ihre Gegner/innen angeblich objektiv widerlegen. Zum anderen, weil derartige Verbote und Diskussionen zwar gutgemeint sein mögen, aber nur auf den ersten Blick gegen rechte Positionen gerichtet sind. Im Endeffekt bedeuteten sie Entdemokratisierung und Grundrechtseinschränkung und entsprechen so mehr den Zielen der Rechten. Das mit der Bannmeile nicht nur die rechten, sondern jegliche politischen Versammlungen verboten wäre, stört offenbar nicht mal mehr die oppossitionsentwöhnte PDS.

Kein Schritt voran

Dass diese Episode sich ausgerechnet in Ueckermünde abspielt, dürfte vielen nur noch resigniertes Kopfschütteln abringen. Die Stadt hat mit Nationalgermanischer Bruderschaft, Aryan Warriors, Heimatbund Pommern, Garagentreffpunkt, antisemitischer Hetze, rechter Gewalt, NPD-Kandidatur, White Noise-Parties, Rechtsrock-CD und Kampagne gegen Flüchtlinge das komplette Naziprogramm auf kleinstem Raum vereint. Und das seit Jahren. Diese Einschätzung teilen Antifa, Verfassungsschutz, Opferunterstützer, Medien und Rechtsextremismusexpert/innen fast unisono. Nur in der Stadt selbst mokierte sich außer einem kleinen Bürger/innenbündnis fast niemand darüber - im Gegenteil. Die Bürgermeisterin wetterte im letzten Herbst gegen eine Studie eines Mobilen Beratungsteams, die diese unbequemen Wahrheiten enthielt. Die geplante Bannmeile ist keineswegs ein "Schritt voran", wie die Ausschussmitglieder suggerieren wollen. Spätestens vor Gericht wird diese Provinzposse ein Ende haben. Dann werden sich Neonazis als Retter der Meinungsfreiheit aufspielen und im Ueckermünder Rathaus wird man sich zurücklehnen, auf die Justiz schimpfen und sagen, man hätte es ja versucht. Wenn der CDU'ler Roman Breß behauptet, die Verwaltung wäre mit diesem Verbot endlich "handlungsfähig", beweist er stellvertretend, dass man bislang handlungsunwillig oder inkompetent war. Was hat die Ausschussmitglieder bislang gehindert, selbst gegen die Aufmärsche auf die Straße zu gehen oder den Nazis keine öffentlichen Sportplätze für Kameradschaftsfußballturniere zur Verfügung zu stellen oder gegen "Heil Hitler" Rufe bei den Naziparties im Garagenkomplex vorzugehen oder die Opfer von Naziattacken zu unterstützen oder die rassistische Hetze der Rechten zu widerlegen oder die Teilnahme vom Heimatbund am städtischen Festumzug zu verhindern, oder, oder, oder.

Dass im Ausschuss für Ordnung und Sicherheit nicht schon längst die Nazi selber sitzen, liegt nicht am Engagement von Politik und Verwaltung gegen Rechts, sondern schlicht daran, dass die NPD bei den Kommunalwahlen in Ueckermünde nicht angetreten ist.

Links

Ausschuss: Keine Demos in der Altstadt
Nordkurier-Ueckermünde vom 26.10.2005
http://www.links-lang.de/presse/3326.php

"Alles nicht so schlimm"
In Ueckermünde wird ein brisanter Report über die lokale Naziszene unter Verschluss gehalten. Die Stadtvertreter lehnen eine Veröffentlichung als Image schädigend ab.
Ostseezeitung vom 09.12.2005
http://www.links-lang.de/presse/2175.php

Bürgermeisterin nennt Studie nicht repräsentativ
Ueckermünde untersagt Veröffentlichung über Rechtsextremismus
Nordkurier vom 15.12.2004
http://www.links-lang.de/presse/2187.php

Wenn Neonazis schöner wohnen wollen
In Ueckermünde verbreiten Neonazis unter dem Label einer Bürgerinitiative rassistische Propaganda.
links-lang.de vom 30.06.2004
http://www.links-lang.de/0406/09.php

Demokratisches "Ausländer raus!"?
Eine Dokumentation zur Diskussion um Flüchtlingsheime in Mecklenburg/Vorpommern von der Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt
http://www.lobbi-mv.de/heimdisk/index.htm