links-lang fetzt!

Für einen revolutionären Antifaschismus

Eine notwendige Kritik am Aufruf "Game over Krauts!" zur Demonstration zum Tag der Befreiung in Rostock

03.05.2004

Folgender Text kam heute an und kann auch als pdf-Datei angeschaut werden.

Eine Auseinandersetzung und klare Abgrenzung zur aktuell in breiten Teilen der Öffentlichkeit laufenden Debatte über Opfer und Täter im deutschen Faschismus und der damit einhergehenden Versuche, einen neuen Opfermythos zu begründen und deutsche Verbrechen zu relativieren, ist richtig und überfällig.

Auf die Provokationen von deutschen Alt- und Neonazis ("Opa war kein Verbrecher") und antisemitischen Ausfälle so genannter Eliten (Hohmann), sowie den einseitigen Fernsehdokumentationen a la Guido Knopp, mit affektiven Kurzschlusshandlungen zu reagieren, die einen volksdeutschen antisemitischen Deal suggerieren, halten wir für völlig verfehlt. Rechtsradikales, antisemitisches und völkisches Gedankengut äußert sich nicht erst seit 1989 öffentlich, sondern muss zu Recht als Kontinuum innerhalb der deutschen Gesellschaft verstanden werden. Sich daraus ein spezifisch deutsches völkisches Projekt zu konstruieren, das den existierenden Widerstand gegen diese Verhältnisse leugnet, kommt einer dialektischen Sichtweise nicht nahe.

Der Aufruf von Teilen der Rostocker Antifa bedient sich in der so genannten Antideutschen Ideologie und ist in seiner Wahrnehmung heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse stark verkürzend, undifferenziert und wird einem praktischen, revolutionären Antifaschismus nicht gerecht. Wir können und wollen hier nicht eine vollständige Analyse des Textes vornehmen, ebenso wenig können wir auf diesem Wege die zwingende Abrechnung mit den kontraproduktiven Antideutschen Ideen leisten, mit denen sich weite Teile der ehemaligen radikalen Linken von ihren einstigen Idealen verabschiedeten. Wir möchten aber auf einige uns wichtig erscheinende Punkte eingehen und unsere Position darlegen, wo ein praktischer Antifaschismus Berührungspunkte zu heutigen emanzipatorischen Bewegungen finden kann und muss, wenn er sich nicht völlig isoliert und außerhalb gesellschaftlicher Diskurse wieder finden möchte, was ein Agieren unmöglich macht.

Für ein antifaschistisches Verständnis ist eine radikale Kapitalismuskritik unerlässlich

Im Aufruf zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus, wird ein verkürztes Geschichtsbild verbreitet, das von einer differenzierten Wahrnehmung der Ursachen für die Entstehung des deutschen Faschismus und seiner anderen nationalen Ableger weit entfernt ist. Auf der anderen Seite wird in die Gründung der Anti-Hitler-Koalition ein Mythos hinein interpretiert, der das antikommunistische Moment völlig außer Acht lässt (über die fortbestehenden rassistischen, antisemitischen und patriarchalen Verhältnisse in den Armeen der Siegermächte zu referieren würde hier zu weit führen). Beide Fehlinterpretationen beruhen auf der fehlenden Analyse kapitalistischer Verhältnisse, die zuallererst (als Begründungsgefüge) für das Entstehen der faschistischen Gesellschaft verantwortlich zu machen sind. Es ist falsch, die Alliierten in ihrem Wesen als antifaschistisch zu begreifen. Der Name sagt es bereits aus: das Bündnis entstand aus der Notwendigkeit heraus, alle Ressourcen für das Niederringen Nazideutschlands zu bündeln. Es wurden nicht die Bedingungen für das Entstehen faschistischer Strukturen beseitigt, wie es auch in den weiteren Jahrzehnten europäischer Geschichte zu beobachten ist. Vor dem Hintergrund des zivilisatorischen Bruchs der bürgerlichen Gesellschaft (der Shoa) die vielen Massenverbrechen des Imperialismus in seinen sich wandelnden Formen zu leugnen, heißt die Augen vor den Problemen des 21. Jahrhunderts zu verschließen. Eine solche Sichtweise nehmen wir als rückwärts gewand war, die keine linksradikalen Antworten und Positionen zulässt. Deshalb können wir uns ihr nicht anschließen.

Um einen weiteren beispielhaften Schwachpunkte im Aufruf "Game over Krauts!" zu nennen, muss auf die verfehlte Sichtweise bei der Rolle Polens und Tschechiens hingewiesen werden. Dass es sich hier um Nationalstaaten, in linksradikaler Sichtweise also um historisch entstandene Konstrukte, mit ganz normalen länderspezifischen Interessen handelt, wird geflissentlich übersehen. Sie sind ebenso wenig antirassistisch, antifaschistisch oder antisemitisch wie jeder andere Scheißstaat (letzteres mit Ausnahme Israels). Die fehlende Auseinandersetzung mit linken Gruppen aus diesen Ländern könnte das ebenso schnell bestätigen, wie eine Analyse der Rolle dieser Länder in der künftigen erweiterten Europäischen Union. Als Konsequenz aus Deutschlands wahnsinnigen Großmachtstreben versteht es sich von selbst, dass Forderungen nach Rückgängigmachung der Beneš-Dekrete abzulehnen sind.

Ein weiteres wesentliches zu bemängelndes Moment im Aufruf ist die völkische Argumentation. Es wird die völkische Konstituierung Deutschlands kritisiert, die angeblich bis heute stattfindet. In Bezug auf die Staatsangehörigkeit mag das richtig sein, als ein Ergebnis weltweiter Migration und Globalisierung ist Deutschland heute doch vielfältiger, als es uns der Aufruf weismachen will. Hier vermissen wir eine differenziertere Wahrnehmung der heutigen Verhältnisse. Nicht zuletzt stellen sich die VerfasserInnen außerhalb ihres eigenen Konstrukts und erheben sich quasi als positive Übermenschen. Alle anderen sind volksdeutsch und "haben kein Recht, politische Interessen zu artikulieren und sich als Moralapostel zu gebärden" (Zitat Aufruf "Game over Krauts!"). Die VerfasserInnen selbst begreifen sich als nicht volksdeutsch (was dann?) und sehen sich in der Rolle, dem Rest, der sich nicht auf ihre Seite stellt, die Welt zu erklären. Der linke Machismo lässt grüßen.

Antifaschismus ist mit metropolenchauvinistischen Positionen unvereinbar

Last but not least sind die symbolhaften philosemitischen und philoamerikanischen Positionen im Aufruf zu kritisieren, die sich ebenfalls aus der antideutschen Ideologie geborgt wurden. Es ist uns unverständlich, wie alle im Demoaufruf kritisierten Zustände des real existierenden (deutschen) Kapitalismus über einen projizierten Antifaschismus mittels einseitiger Parteinahme in Konflikte auf dieser Welt gelöst werden sollen, deren Auswahl allein schon die eurozentristische Sichtweise der VerfasserInnen offen legt. Wenn wir die deutschen Zustände ändern wollen, müssen wir vor unserer Haustür damit anfangen. Einige Punkte werden in diesem Zusammenhang im Aufruf erwähnt, die Schlussfolgerungen daraus für antifaschistische Politik, die möglichst praktische Wirkungen entfalten soll, bleiben unbenannt.

Eine beschränkte einseitige Parteinahme für den Staat Israel nimmt die Probleme der Menschen in dieser Region nicht ernst. Neben der ignoranten Unterschlagung von linken israelischen Gruppen, die gegen den Rassismus im eigenen Land und für eine friedliche Lösung in der Region kämpfen, neben der rassistischen pauschalen Abwertung aller PalästinenserInnen, finden wir den Missbrauch der Fahne Israels von Seiten deutscher AntifaschistInnen als Reaktion auf den Gebrauch des "Palästinensertuchs" durch deutsche Nazis (die noch nie irgendwas kapiert haben) geschmacklos, anmaßend und für eine antifaschistische Praxis überflüssig. Ähnliches ist für das offensive Zuschaustellen anderer nationaler Symbole ehemaliger Alliierter zu sagen, die heute von vielen Linken und Liberalen als Zeichen der Verteidigung westlicher "demokratischer" Werte gegen einen halluzinierten islamischen Faschismus missverstanden werden. Plötzlich fallen mehrere hundert Jahre gewaltsamer Durchsetzung eben jener "Zivilisation" dem Vergessen anheim. Die Dürftigkeit und Kurzschlüssigkeit der sich widersprechenden Gedankenwelt "antideutscher" Vordenker erstaunt uns. Die Konstituierung eines (anti)deutschen Antifaschismus über den positiven Bezug auf aggressive Nationalstaaten hat nach unserem Verständnis mit einem revolutionären Antifaschismus als Teilbereich linksradikaler Politik nichts zu tun.

Für einen "Kategorischen Imperativ" von Links

Ein Aufruf für eine Demonstration, die praktischer Ausdruck eines emanzipatorischen Politikverständnisses sein soll, muss über verbale Parolen und Symbolik hinausgehen und konkrete Anknüpfungspunkte für einen linksradikalen Antifaschismus benennen können. Wir denken, dass hier zuerst die Anbindung an theoretische Diskussionen gesucht werden muss, die es in den letzten Jahrzehnten radikaler Antifabewegungen in Deutschland und anderswo gegeben hat. Das heißt unter anderem als Teilbereichsbewegung, die die Konfrontation mit organisierten Nazis sucht, auch die Bezugspunkte zu anderen sozialen Bewegungen, die sich der Umwälzung der herrschenden Verhältnisse und damit der Abschaffung der Vorraussetzungen für Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Patriarchat verschrieben haben, zu suchen und zu sehen.

Das heißt auch, das Verständnis für internationale Befreiungsbewegungen zu schärfen, die Probleme der Menschen wahrzunehmen, nicht zuletzt auch hier in Deutschland. Linker Metropolenchauvinismus hilft uns dabei nicht weiter. Abgrenzungen müssen dort erfolgen, wo destruktive Ansichten und zu bekämpfende Positionen fundiert und begründet belegt werden können. Diese Grenzziehung kann nicht an schwarz-weißen Linien verlaufen, sondern muss immer wieder überprüft werden. Das bezieht die Reflektion eigener Positionen mit ein.

Die Parole "Lichtenhagen 1992 - 2002: Kein Vergeben - Kein Vergessen!" ist ein gutes Beispiel dafür, wie linker Antifaschismus über Phrasendrescherei nicht hinaus kommt und eine Auseinandersetzung mit den Problemen in dieser Stadt dem bürgerlichen Lager überlassen wird.

Um hier nicht missverstanden zu werden: wir sehen uns als Teil dieser linken (radikalen) Antifabewegung (und haben mehr Fragen als Antworten). Wir sehen das Eingestehen von Schwächen und Fehlern als Stärke einer sich emanzipatorisch verstehenden Linken an. Angesichts der hier kurz erörterten kritikwürdigen Punkte im Aufruf "Game over Krauts!" halten wir eine Analyse linker Antifapositionen für unverzichtbar.

Es muss jede/r für sich selbst entscheiden, ob ein Mitlaufen unter den kritisierten Inhalten und der pseudopolitischen Symbolik der Demonstration möglich ist. Eine Auseinandersetzung um das Selbstverständnis zukünftiger (revolutionärer) antifaschistischer Politik in diesem Land, in einer zunehmend globalisierten Welt, ist unerlässlich für deren praktischen Erfolg.

Let´s go forward! - Antifa heißt Angriff!

Rostocker AntifaschistInnen
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