links-lang fetzt!

07.02.2003
Mecklenburger Schön-Wetter-Politik - Von einer Krise der norddeutschen Neonazi-Szene kann nicht gesprochen werden

Das liest sich gut in der Presse. Hieß es Ende November des letzten Jahres noch in einer Greifswalder Studie, dass die fremdenfeindlichen Einstellungen unter Jugendlichen von 20 Prozent im Jahr 1998 auf 10 2002 zurückgegangen sind, folgte dieser Tage die nächste frohe Botschaft für die Imageberater Mecklenburg-Vorpommerns. Der Verfassungsschutz des Landes konstatierte in einem Bericht, dass die norddeutschen Neonazis "tief zerstritten" sind. Dabei dürften den meisten Rechten diese Streiteren egal sein.

Die Berichterstattung über die Studie des Greifswalder Kriminologen Bernd Geng machte vor, wie es geht. Sie beschränkte sich nur auf Umfragewerte unter Greifswalder Neuntklässlern, unter denen ein Rückgang extrem fremdenfeindlicher Einstellungen von 20 auf 10 Prozent und moderat fremdenfeindlicher Einstellungen von 46 auf 30 Prozent festgestellt wurde. Trotz stattfindender Gewalttaten von Neonazis und Rassisten und rassistischen Bürgerbewegungen gegen Flüchtlingsheime sprach etwa die Ostseezeitung von einer "Trendwende" bei der Fremdenfeindlichkeit. Ähnlich wird der Bericht des Verfassungsschutzes aufgenommen.

Streit in der Szene...

Dieser hatte eine Folge von Pamphleten kommentiert, die über das Aktionsbüro Norddeutschland und das Stralsunder Störtebeker-Netz veröffentlich wurden. Der Streit, der auf der einen Seite von einem Kreis um die Neonazis Tobias Thiessen und Thomas Wulff und auf der anderen von dem Hamburger Neonazi Christian Worch geführt wurde, entzündete sich an Fragen der Demonstrationsstrategie und der Anonymität rechter Akteure. In der Folge wurde gerade von Worch und einigen seiner Fürsprecher eine Schlammschlacht geführt, die pikante Details der politischen Geschichte einiger Neonazis enthüllte.

Axel Möller

Ein Bild aus besseren Tagen: Axel Möller (rechts) mit Kameraden
Bild vom Likedeeler

Daraus jedoch einen Streit der norddeutschen Neonazi-Szene zu machen oder weitergehend gar zu behaupten, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns rechtes Gedankengut ablehnt, wie es der Verfassungsschutz im Nordkurier tut, ist falsch. Denn die, die sich da streiten, mögen zwar für öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Demonstrationen oder Internetseiten verantwortlich sein, sind aber nicht kennzeichnend für die rechte Szene. Den vielen in Kameradschaften organisierten Neonazis im Land, die für Konzerte und andere Veranstaltungen wie "Sonnenwendfeiern" oder "Heldengedenken" verantwortlich sind, die rassistische und antisemitische Flugblätter verbreiten oder Anti-Antifa-Arbeit leisten, dürfte es herzlich egal sein, was etwa ein Internet-Schreiber wie der völlig isolierte Axel Möller in seinem Hinterzimmer fabriziert. Der Stralsunder Neonazi, der hinter dem Störtebeker-Netz steht, ist mit seinen täglichen Ergüssen zwar leicht wahrnehmbar, aber für die regionale rechte Szene inzwischen irrelevant.

...oder vielleicht Schaukämpfe?

Von "Schaukämpfen" zu sprechen, wie es das Schweriner Mobile Beratungsteam macht, ist freilich falsch. Der Verweis auf gemeinsame Aktivitäten von "freien Nationalisten" und NPD-Funktionären etwa in der Ludwigsluster Ecke oder Vorpommern dagegen mit ihren vielfachen Aktivitäten von "Kultur" über Öffentlichkeits- und Medienarbeit bis zu Militanz ist treffend. Von der Bevölkerung dort werden Neonazis selten als solche wahrgenommen; sie können in Diskussionen eingreifen und unterstützen rassistische Ressentiments bei den Menschen. Bei den Diskussionen um Flüchtlingsheime etwa in Ducherow konnten sich rechte Kader zurücklehnen, weil "normale" Bürger ihre Argumente vortrugen.

So, wie von keiner Entwarnung bezüglich rassistischer Einstellungen gesprochen werden kann, kann organisierten Neonazis keine Untätigkeit unterstellt werden. Dies zu behaupten offenbart nicht nur einen fehlenden Überblick über rechte Aktivitäten, sondern auch ein falsches Verständnis ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Was für Lokaljournalisten noch gelten kann, trifft auf den Verfassungsschutz nicht zu. Und zeigt insofern die Mißstände einer Politik auf, die solche Schön-Wetter-Meldungen präsentieren muß - während noch lange keine Sonne in Sicht ist.

Links

Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern
http://www.verfassungsschutz-mv.de

Artikel "Trendwende bei Fremdenfeindlichkeit unter Jugendlichen im Osten", Nordkurier vom 23.11.2002
http://www.links-lang.de/presse/351.php

Artikel "Rechte Szene geht in den Grabenkampf", Nordkurier vom 04.02.2003
http://www.links-lang.de/presse/542.php

Artikel "Rechte im Norden nicht harmlos", taz vom 06.02.2003
http://www.links-lang.de/presse/556.php

Infos über Christian Worch, Informationsdienst gegen Rechtsextremismus
http://www.idgr.de/lexikon/bio/w/worch-christian/worch.html

Infos über Thomas Wulff, Informationsdienst gegen Rechtsextremismus
http://www.idgr.de/lexikon/bio/w/wulff-thomas/wulff.html

Infos über Axel Möller, Informationsdienst gegen Rechtsextremismus
http://www.idgr.de/lexikon/bio/m/moeller-axel/moeller-a.html

Neonazi-Seite Aktionsbüro Norddeutschland
http://www.widerstandnord.com/aktionsbuero/

Neonazi-Seite Störtebeker-Netz
http://www.stoertebeker.net