links-lang fetzt!

01.10.2002
Festakt für die Wunderwaffe - Auch in Peenemünde entdeckt das Volk der Täter seine Verantwortung für den Frieden und macht sich von seiner Geschichte frei


Folgender Artikel wurde uns freundlicherweise vorab zur Verfügung gestellt; wir veröffentlichen ihn auch, weil er nicht unkritisch zu betrachten ist. Er wird in der jungen welt erscheinen.

"Musikfest des Friedens" titelte die "Ostsee- Zeitung" am 30. September, "Brittens ´War Requiem´ in Peenemünde gefeiert." Und auf Seite 3: "Botschaft der Versöhnung. Peenemünde sendet als ehemaliger Ort des Krieges mit dem ´War Requiem´ ein internationales Signal für Frieden und Verständigung."

Bundestagspräsident Rau eröffnete am vergangenen Sonnabend mit diesem Ereignis das traditionelle Usedomer Musikfestival. Der Konzertsaal: die Kraftwerkshalle der ehemaligen Peenemünder V2- Produktionsstätte. Der russische Dirigent Mstislaw Rostropowitsch leitete Orchester und Chor von insgesamt 250 Musikern und Sängern. Die Show war Monate vorher ausverkauft. Über tausend Zuschauer kamen. Zu den Ehrengästen gehörte der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow.

Der englische Komponist Benjamin Britten hatte das "War Requiem" 1962 für die Wiedereinweihung der von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale von Coventry komponiert.

Dem Leiter des "Historisch-Technisches Informationszentrums" von Peenemünde, Dirk Zache, erschien nichts passender, als das Requiem nun auch dort aufführen zu lassen, wo die Vernichtungswaffe gebaut wurde. Es traf sich gut: vor 60 Jahren war den Nazis unter ihrem diabolischen Konstrukteur Wernher von Braun in Peenemünde zum ersten Mal ein Raketenstart geglückt.

Und so sind wohl Zeiten nicht fern, da im Zeichen der Versöhnung auf Hitlers "Wolfsschanze" Beethovens 9. Symphonie erklingen und in Gedenkstätten von Konzentrationslagern "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl gezeigt werden wird. Irgendwie sind das alles doch nur "die zwei Enden der Parabel", wie es in der im vergangenen Jahr eröffneten großen Exposition über die Geschichte der V2 im "Historisch-Technischen Informationszentrum" heißt.

Die erste Sammlung von Peenemünde-Devotionalien war kurz nach dem Ende der DDR aufgebaut worden und bestand vorwiegend aus Technikschrott. Dazu lief der Film "Peenemünde-Wiege der Raumfahrt". In den Gästebüchern waren Sympathiebekundungen alter Nazis, die in Nostalgie schwelgten, zu lesen. Die neue Ausstellung, erzwungen durch internationale Proteste, ist wesentlich ausgeklügelter, glitzert vor Revisionismus und trägt alle Anzeichen modernen Museumsdesigns.

Gleich zu beginn macht sie den Besucher mit dem philosophischen Anspruch ihrer Schöpfer vertraut. "Aufstieg und Einschlag stehen an den beiden Enden der Raketenflugbahn", erfährt er. Auf der einen Seite, so wird erklärt, stünde die Begeisterung bei den Technikern der V2, auf der anderen Seite das Entsetzen ihrer Opfer. "Die beiden Enden der ballistischen Parabel bezeichnen Chancen und Risiken, Hoffnungen und Gefahren jeder revolutionären technischen Neuerung."

Dokumente der Ausstellung beweisen: Demagogie stand schon am Anfang des "Projekts Peenemünde". Zunächst gab es private Geldsammlungen für die Raketenforschung, für die bei "Friedensfreunden aller Länder" mit Schriften wie "Die Rakete als Weltfriedenstaube" und dem Argument "die Rakete hilft den Krieg töten" geworben wurde. Die Rakete A4 (Abkürzung für "Aggregat 4") entstand 1936. Ab Mitte 1943 planten die Nazis eine V2- Produktion von "1000 Geräten pro Monat". Die Raketen waren vor allem für den Einsatz in England und Frankreich geplant, doch auch die Vereinigten Staaten hatte man bereits im Visier.

In den Räumen des HTI erwartet den Besucher ein wahres Feuerwerk von Dekorationsideen. Zu bewundern sind im Boden eingelassene Vitrinen, Stellwände mit ausgefrästen Planeten- und Sternenmotiven, hinter deren Fenstern Science-Fiction-Bücher liegen, mannshohe Stellgerüste für Infotafeln, montiert in Gestalt diverser Raketen, Bildtafeln aller Formen, drehbar, dreieckig geschnitten, unter Glas, limonadenfarbig illuminiert. Rosa, gelbe, hellblaue Spots strahlen von der Decke, vor den Fenstern filtern hellblaue Vorhänge mit Weltallmotiven das Licht. Auf Tafeln in den Farben der US-amerikanischen, französischen und sowjetischen Flaggen wird die Entwicklung der Raumforschung in den drei Ländern skizziert. Im Techniksaal veranschaulicht eine Wand aus leeren Ordnern die Forschung und Buchhaltung in Peenemünde. Auf den Fluren informieren Schilder mehrsprachig über die "politische Entwicklung" in Deutschland von 1934 bis 1945. Interessant sind weniger die spärlichen Angaben als die ausgehängten Propagandaplakate, die farbenfroh gegen Rassenschande, für den Einsatz der Jugend im Volkssturm und -auf Russisch- für die ideologische Umkehr der sowjetischen Zwangsarbeiter werben.

1943 wurden für Peenemünde 2500 Häftlinge aus Buchenwald und Ravensbrück angefordert, nach der Besetzung ihrer Länder kamen Tschechen, Polen und sowjetische Kriegsgefangene hinzu. Historiker fanden zu DDR-Zeiten eine Liste von 171 im Krematorium Greifwald verbrannten Opfern des KZ Peenemünde. Den Gefangenen ist ein eigener Raum gewidmet. Während der Besichtigung laufen Videos an mehreren Computerbildschirmen gleichzeitig, und unaufhörlich dröhnt die Hoffnung Zarah Leanders aus den Lautsprechern, daß einmal ein Wunder geschieht. Die Videos enthalten Gespräche mit Zeitzeugen und ehemaligen Opfern. Die Äußerungen der Häftlinge werden durch Auswahl, Schnitt und Montage eines Teils ihrer Wirkung beraubt. Der Dokumentarfilm "Peenemünde - Schatten eines Mythos", im Jahr 2000 aus dem selben Material hergestellt, wird in der Eingangshalle gezeigt.

Ein Ausstellungsraum bildet den Stollen Dora bei Nordhausen nach, wo mehr als 20 000 Häftlinge ums Leben kamen. Nach der Verlagerung der Raketenproduktion nach Dora wurden in Peenemünde eine V2-Erprobungsstelle und ein kleineres KZ weitergeführt. Insgesamt waren dabei 10-15000 Arbeitskräfte, darunter Tausende Häftlinge, eingesetzt. Zum Abschluß seines Rundgangs gerät der Besucher des HTI in einen abgedunkelten Meditationsraum, in dessen Mitte beleuchtete Trümmer liegen.
Vermutlich symbolisieren sie die Trümmer der Geschichte.

Johannes Rau sprach in seiner Eröffnungsrede am Samstag in Peenemünde das Bibelwort: "Jagt dem Frieden nach, hört auf mit dem kriegerischen Denken." Dabei, so die "Ostsee-Zeitung", habe er den amerikanischen und den britischen Botschafter in der ersten Reihe wohlweislich nicht angesehen.

Cristina Fischer