links-lang fetzt!

03.05.2002
Verfassungsschutz verhinderte Ermittlungen gegen Neonazis


Ein Artikel aus der heutigen Ausgabe des Nordkuriers. Bei der Rheinpfalz Zeitung gibs auch noch 'nen Artikel.

Geheimdienst stoppte offenbar Ermittlungen - Affäre um Prozess-Verzögerung zieht Kreise

Michael Seidel

Schwerin. Der Justizskandal um die angebliche Vereitelung eines Strafverfahrens gegen zwei Rechtsextremisten wegen versuchten Mordes hat möglicherweise andere Hintergründe als bisher bekannt. Nach Nordkurier-Informationen war die Schweriner Staatsanwaltschaft 1994 einer dringenden Aufforderung des Verfassungsschutzes nachgekommen, sich bei der Strafverfolgung zurückzuhalten. Den beiden jungen Männern wird eine maßgebliche Beteiligung am Brandanschlag vom Frühsommer 1992 auf das Asylbewerberheim Boizenburg (Kreis Ludwigslust) zur Last gelegt.

Hintergrund war demnach die versuchte Anwerbung beider als Informanten des Verfassungsschutzes. Während einer sofort ablehnte, ließ sich der andere als V-Mann verpflichten. Unklar ist, ob dies vor dem Brandanschlag geschah oder erst später. Hinweise auf die "Absprache" zwischen Geheimdienst und Anklagebehörde waren nach vertrauenswürdigen Angaben aus Sicherheitskreisen bereits im Vorjahr entdeckt worden, als wegen einer vorangegangenen "V-Mann-Affäre" die Arbeit des Verfassungsschutzes überprüft wurde. Das soll auch der Grund für die Entlassung des damaligen Verfassungsschutzchefs Elmar Ruhlich gewesen sein.

Auch die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft enthalten offenbar einen Vermerk über die "Ausbremsung" der Ermittlungen gegen die NPD- Aktivisten. Der mutmaßliche V-Mann hatte nach dem Überfall den Kreisvorsitz der NPD übernommen, nachdem der Amtsvorgänger als geistiger Rädelsführer des Überfalls in Boizenburg verhaftet und vor Gericht gestellt worden war. In diesem Verfahren vor acht Jahren sollten sich ursprünglich auch die beiden jetzt Angeklagten gemeinsam mit über 20 weiteren Jugendlichen verantworten. Kurzfristig war dann jedoch ihr Verfahren "abgetrennt" und bis in die jüngste Vergangenheit "liegen gelassen worden".

Kommentar

Kein Licht ins Dunkel

Michael Seidel

Die Begriffe "Skandal" und "Affäre" sind nicht nur in Verbindung mit der mecklenburg-vorpommerschen Landespolitik in jüngster Vergangenheit inflationär benutzt worden. Doch momentan darf man wohl zu Recht von einem Justiz-Skandal sprechen. Nicht, weil nahezu eine komplette Landtagsfraktion dem Verdacht der Untreue ausgesetzt wurde. Nicht, weil wegen vermeintlicher Strafvereitelung gegen einen Staatsanwalt ermittelt wird, der bislang unerschrocken gegen Politiker jeglicher Couleur genauso vorging wie gegen marodierende Rechtsradikale. Und auch nicht, weil mal wieder ein brandschatzender Neonazi entdeckt wurde, der mutmaßlich Informant des Verfassungsschutzes war.

Die Mischung macht den Skandal. Und die Legenden, die daraus gestrickt werden. Es gibt zweifellos Zusammenhänge zwischen all diesen Vorgängen. Aber welcher Vorgang ursächlich für den anderen war und ob dieser es wiederum für jenen war, ist noch unklar. Allerdings drängt sich manche Kausalität auf, weil sie Ereignisse der letzten Jahre erstmals plausibel machen würde. Angesichts der neuerlichen Enttarnung eines V-Mannes in NPD-Diensten stellt sich jedoch noch eine ganz andere Frage: Hat der Verfassungsschutz in seinen Anfangsjahren möglicherweise im Bemühen, die rechte Szene unter Kontrolle zu bekommen, durch die Platzierung von V-Leuten überhaupt erst das Entstehen einer rechten Parteistruktur befördert?

Das würde zudem die Frage aufwerfen, wie weit die damals politisch Verantwortlichen darüber im Bilde waren: Von Justizminister Herbert Helmrich über Innenminister Rudi Geil, Generalstaatsanwalt Alexander Prechtel und den später selbst straffällig gewordenen Verfassungsschutzchef Volkmar Seidel (alle CDU).

Dessen ungeachtet müssen die heutigen Protagonisten dringend klären, welche Rolle sie eigentlich spielen, welches Ziel sie verfolgen. Für den Moment ist der fatale Eindruck entstanden, dass auf dem Rücken der Justiz politische Personalpolitik betrieben wird.