links-lang fetzt!

04.04.2002
Folgender Artikel kam aus Neustrelitz vorbeigeflattert. Er ist im dortigen alternativen Heftchen disorder abgedruckt, über das es nähere Infos unter der email-Adresse disorder@links-lang.de gibt.

Gebrandschatzte Köpfe - In Neustrelitz hat man Angst vor Menschen, die keiner kennt

Plündernde Horden von Asylbewerbern suchen bald die Städte des Landes heim, um die Wäsche von der Leine zu stehlen und kleine Kinder zu fressen. Diesem Bild mag glauben, wer sich die artikulierten Ängste vor Augen führt, die in letzter Zeit im Bezug auf die Verlegung von Asylbewerberheimen in Mecklenburg-Vorpommern geäußert werden.

"Wir wollen sie nicht haben," heißt es in Bad Doberan. Im dortigen Kreis muß ein Asylbewerberheim geschlossen werden, weil laut einer neuen Landesverordnung des Innenministeriums die bisherige Unterbringung von Menschen mitten im Wald als unwürdig angesehen wird. Doch Menschenwürde wollen die Doberaner scheinbar nur Deutschen zuerkennen. "In meinen Laden lasse ich dann keine Ausländer mehr rein," zitiert die Lokalzeitung den örtlichen Edeka-Chef. Es ist eine reale Gefahr, die in der Stadt gesehen wird: nicht nur kommen laut Meinung des Marktleiters auf einen "deutschen" Ladendieb drei "ausländische". Eine Frau aus der Stadt weiß von einem "ausländischen" 1,90-Hühnen zu berichten, der sie verbal bedroht hatte. Und die Polizei sei gar nicht erst gekommen.

Die ist scheinbar unfähig im Norden des Landes. Denn die Beamten können nur aus Erfahrungen berichten, daß ein "erhöhtes Gefahrenpotenzial" wegen eines Asylbewerberheims nicht zu erwarten sei. Aber was gelten schon polizeiliche Erfahrungen gegen das Vorurteil, daß alles Fremde an erster Stelle bedrohlich ist? Schließlich sind im mit einem mal gemeinschaftlichen Volk die Umtriebe von "Ausländern" doch gut aus dem Fernsehen und den Erzählungen der Nachbarn oder überall vorhandenen Verwandten aus Berlin oder Hamburg bekannt...

Weniger gemeinschaftlich gibt man sich im Neustrelitzer Stadtteil Alt-Strelitz, wenn es um die Ablehnung von Asylbewerbern geht. Dort muß das am Stadtrand gelegene Asylbewerberheim geschlossen werden, weil der Vertrag mit einem privaten Betreiber ausläuft. Während die Verwaltung des Landkreises noch mögliche neue Gebäude sichtete, machte ein Flugblatt die Einwohner von Alt-Strelitz darauf aufmerksam, daß ihr "Wohngebiet, wo Auseinandersetzungen vorprogrammiert sind", in Betracht gezogen werden würde.

Sofort jedoch verurteilten Engagierte aus dem Stadtteil das Flugblatt, das den Einwohnern von Alt-Strelitz Rassismus unterstellt. Sie konnte die Artikulierung dessen nicht nur an den Stammtischen allerdings nicht verhindern. Bei einer gut besuchten Sitzung des im Stadtteil aktiven Bürgervereins Daniel Sanders erntete eine Frau, die auf die Situation der von Terror, Folter und Tod verfolgten Flüchtlige aufmerksam machte, nicht wenige Buh-Rufe.

Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung jedoch argumentierte minutenlang synchron zum Inhalt des Flugblatts in wohlstandschauvinistischer Diktion, daß das Asylbewerberheim eine Wertminderung der Immobilien für die Anwohner wäre. Passend dazu hieß es wenige Tage vorher bei einer Stadtvertreterversammlung, daß "zum Schutze" vor Neonazis die Flüchtlinge doch nicht in der Stadt untergebracht werden könnten. Es ist traurig, aber früher nannte man diesen Gedanken noch Schutzhaft...

Einen kostengünstigen Vorschlag, der Anti-Rassisten erstaunt, hatte in einer Presseerklärung Ende März die örtliche CDU parat: "Die dezentralen Unterbringung der Asylbewerber (ist) die richtige Lösung."

Ein Gedanke, der in der Partei - wie auch in der SPD - umstritten sein dürfte. Schließlich ist die Unterbringung von Asylbewerbern in Lagern, auch wenn sie 30 bis 50 % teurer ist als die in Privatunterkünften, ein wesentlicher Punkt der deutschen Asylgesetzgebung. Die Politik der seit den 80er Jahren durchgesetzten Heime verfolgt neben der Abschreckung und der Kontrolle über Flüchtlinge auch die Isolation und Illegalisierung dieser im öffentlichen Bewußtsein. "Die unerwünschte Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ist durch karge, lagermäßige Unterbringung zu verhindern," heißt es in einem Kommentar vom Landkreisverband Bayern von 1982 zum zugehörigen §23 des Asylverfahrensgesetzes.

Diese Politik hat ihr Ziel nicht verfehlt: Menschen, die einen Menschen nicht-deutscher Herkunft vielleicht einmal auf der anderen Straßenseite gesehen haben, sind eindeutig von der Gefahr durch dessen Existenz überzeugt. Dafür kann der Zwang zum Leben in Lagern ja nur ein Indiz sein!

Eine dezentrale Unterbringung könnte tatsächlich Vorurteile abbauen. Erstmals könnten mehr Menschen als die, die den Kontakt mit Flüchtlingen suchen, über deren soziale Lage erfahren. Sie bringen eine mühsame Flucht hinter sich und verlassen gewohnte Lebenszusammenhänge, Freunde, Verwandte und Bekannte, um Asyl in einem unbekannten Land zu erlangen. Dort werden sie isoliert in 9 m²-großen Zimmern untergebracht, dürfen weder arbeiten noch den Landkreis verlassen und nur mit Gutscheinen einkaufen. In der Öffentlichkeit werden sie nicht nur als Verbrecher, Illegale oder Schmarotzer diskriminiert, sondern auch rassistisch angegriffen.

Der Vorsitzende des Alt-Strelitzer Bürgervereins, Christoph Poland, gibt sich Mühe, wenn er meint, daß für rechte Parolen wie in dem Flugblatt kein Platz in dem Stadtteil ist. Er weiß jedoch sicherlich, daß diese Positionen inzwischen aus der Mitte der Gesellschaft kommen und weitverbreitet sind.

Es gibt kein Patentrezept gegen Rassismus, sondern viele Wege, um ein weltoffenes Klima zu schaffen. In Neustrelitz sind jedoch erst wenige Schritte getan.