links-lang fetzt!

Leben und Sterben in Vorpommern

Die recht extreme Normalität in den östlichen Randgebieten

06.12.2003

Ueckermünder Neonazis bei einer Demo gegen die Wehrmachtsausstellung, 600x398, 186 KB
Sprühparolen in Wolgast
Sprühparolen in Wolgast, 600x398, 136 KB
Geschändetes Denkmal in Löcknitz
Geschändetes Denkmal in Löcknitz, 600x398, 232 KB
Wer glaubte, das gesteigerte Medieninteresse und die polizeilichen Ermittlungen nach dem geplanten Münchner Anschlag auf eine Synagogeneinweihung hätten störende Folgen für den Neonazi-Alltag von Vorpommern gehabt, sah sich getäuscht. Rechte Musik und rechter Sport, rassistische Hetze hier und Antisemitismus da, rechte Geschäftsleute und rechte Kommunalpolitik, trauernder "Nationaler Widerstand" - im Nordosten ist eine rechte Szene etabliert, die sich davon kaum beeinflussen lässt.

Wirtschaftsfaktor "Nazi"

Allein Markus Thielke, Inhaber des "New Dawn", war deutlich genervt von den ZeitungsjournalistInnen und Fernsehteams, die nach Hintergrundinformationen über den aus dieser Gegend stammenden Münchner Hauptakteur Martin Wiese suchten. Thielke, Neonazi vom Kameradschaftsbund Anklam, verkauft in dem Laden an der Hauptstraße der Kreisstadt nationalsozialistisches Merchandising zu kapitalistischen Preisen. Nun, eigentlich verkaufen dort seine Frau und ein paar nicht so helle Gesinnungskameraden die "Streetwear, Music & More" - für den Inhaber selbst hat sich das Geschäft offenbar gelohnt. Er ist aus einer Neonazi-WG in Salchow in ein etwas bürgerlicheres Ambiente im nahegelegenen Thurow gewechselt.

Trotz Medienberichten stört sich an dem offensichtlichen Nazitreff in der Anklamer Innenstand kaum jemand. In der Arbeitslosenhochburg denken sicher viele: "Hauptsache Arbeit" - und nicht weiter. Bürgermeister Galander hat nicht nur wenig Probleme mit dem "New Dawn", das parteilose Stadtoberhaupt sah sogar in einem Treffen des Bikerclubs "Banditos" im Juli vor allem die wirtschaftlichen Aspekte. Schließlich hätte das von örtlichen Neonazis unterstützte Rocker-Meeting täglich 3000 Brötchen in Anklamer Bäckereien geordert. Von rechten Aktionen profitierte auch die größte Druckerei in Wolgast. Neben den Rathaus-Mitteilungen druckte sie auch allerlei Propaganda-Materialien der neonazistischen "Pommerschen Aktionsfront". Das lag dann im "New Dawn" aus. Einen anderen Wirtschaftsfaktor interviewte der Anklamer Anzeigen Kurier im September - Mirko Gudath, einen Blesewitzer Dachdecker. Lässig beantwortet der Jungunternehmer die Fragen zu seinem schwierigen Weg zum 13-Mann-Unternehmen. Auf dem Werbeschild seiner Firma am Straßenrand und auf in der Telefonbuch-Anzeige prangt eine Rune. In seiner Freizeit interessiere er sich für Gedenkstätten und Erlebnisberichte. Da ist er nicht der Einzige. Am Volkstrauertag verbrachten wie jedes Jahr rund 200 Neonazis, unter Ihnen die "Aryan Warriors" aus dem Uecker-Randow-Kreis ihre Freizeit am Golm, einer Kriegsgräbergedenkstätte auf der Insel Usedom.

Multi-Kulti-Paradies

Gudath soll in seiner Freizeit auch Flugblätter gegen ein Flüchtlingsheim verteilt haben. Auch damit steht er nicht allein. Neben ihrer sommerlichen Revanchismus-Kampagne "Opa war in Ordnung" gegen die Wehrmachtsausstellung in Peenemünde, haben die Kameradschaften und NPD Verbände in Vorpommern massiv gegen Flüchtlinge mobilisiert. In Mecklenburg-Vorpommern müssen abgelegene "Dschungel"- Heime geschlossen und in Ortnähe verlegt werden. Die rechte Szene hetzte an allen in Frage kommenden Ausweichstandorten mit Flugblättern, Aufklebern, Plakaten, Schmierereien und in den eigenen Medien. Mehr oder weniger verdeckt agierten sie dabei als Bürgerinitiativen. Unter dem Namen "Schöner und sicherer Wohnen in Ueckermünde" tauchte im September die National-Germanische Bruderschaft mit über 50 Neonazis bei einem Kulturfest von Flüchtlingen und AussiedlerInnen auf. In Wolgast sammelte die rechte Szene Unterschriften gegen ein Flüchtlingsheim und übergab sie dem Bürgermeister. In Anklam brachte es der Diskobetreiber Edwin Hübner auf über 1000 Unterschriften. Auch diese Sammlung nahm die organisierte Rechte für sich in Anspruch - gar nicht so abwegig, denn in Hübners Disko "Der Club" kommen Ausländer "zu ihrer eigenen Sicherheit" schon lange nicht mehr rein.

Die Initiatoren der rassistischen Kampagne waren dabei mehrfach der vorbestrafte Wolgaster Neonazi Michael Vedder und der Herausgeber des "Fahnenträger", Michael Kutschke von der Insel Usedom. Auch der NPD-Kreisverband Ostvorpommern mischte mit. Im Juni veröffentlicht die Partei auf ihrer Homepage einen Lageplan und Fotos von einem geplanten Heim in der Stadt Wolgast. Wenige Tage später drohen Sprühparolen auf dem Gebäude: "Lichtenhagen! Solingen! Mölln! Wolgast?" Zuletzt kündigte Michael Andrejewski an, die Partei werde bei den kommenden Kommunalwahlen einen Schwerpunkt in Ostvorpommern setzen. Das Mitglied der "Hamburger Liste für Ausländerstopp" verteilte schon vor den Pogromen in Lichtenhagen und im Jahr 1994 in Rostock rassistische Aufrufe. Im aktuellen Anklamer Wahl-Flugblatt fordert Andrejewski nicht nur die staatlichen Stellen auf, einheimisches Klopapier zu beschaffen. Er fantasiert auch von einer "Verwandlung Ostvorpommerns in ein Multi-Kulti-Paradies". Nichts ist abwegiger als das. Denn neben den Neonazis sind sich in dem Landkreis auch Bevölkerung, Lokalpolitik und Verwaltung vielfach einig in der Ablehnung von AsylbewerberInnen.

"Abteilung Sport und Freizeit"

Ein anderes NPD-Mitglied engagiert sich derweil in der "Abteilung Sport und Freizeit" des Kreisverbandes. Christian Deichen scheint sonst am bürgernahen Sonne, Strand und Möwen-Layout der NPD-Homepage mitzuwirken. Zumindest sieht sein deichen.net, auf dem er sich mit Softballgewehr, Diskotypen und Illuminaten-Links präsentiert, ganz ähnlich aus. "Chrischi" beschäftigt sich aber auch mit dem "Organisieren von sportlich orientierten Veranstaltungen (Fussball-, Skat-, Volleyballturniere, LAN-Party`s, Tischtennis, etc.), sowohl politisch, als auch unpolitisch." Das Logo der ASF: Schwert und Pfeil über einem Ball. Deichen zimmerte folgerichtig für alle "Deutschgesinnten" das erste überregionale Volleyball-Turnier unter dem Motto: "Gemeinschaft durch Sport" zusammen. Im Oktober lief das braune Sportereignis dann mehr schlecht als recht über die Bühne. Deichen hatte mit diversen Absagen von Turnhallen und fehlenden Mannschaften zu kämpfen.

Wer in Vorpommern rechts ist, aber die NPD oder Volleyball nicht mag - der konnte sich an Kameraden in Ueckermünde wenden. Diese boten im September ein Fußballturnier an.

Für die ganz und gar Unsportlichen können die offenbar immer noch funktionierenden "Blood & Honour" Strukturen in Vorpommern auch musikalische Unterhaltung besorgen. Folgten aufmerksame Beobachter am 10.Oktober etlichen mit Nazi-Skins besetzten Autos, erreichte sie gemeinsam mit rund 150 anderen "Gästen" den kleinen Ort Bugewitz. Als Stunden später die Polizei auftauchte war das Rechtsrock-Konzert gerade beendet.

Drei Schändungen in den letzten 15 Monaten

Von Anfang an war die Polizei bei etlichen Veranstaltungen zum 9.November dabei. Beispielsweise in Ueckermünde bei einer Gedenkveranstaltung an die Pogromnacht. Schon in den vergangenen Jahren hängten Neonazis in der Haffstadt zum Jahrestag antisemitische Transparente auf. Das konnte auch der Polizeischutz in diesem Jahr nicht verhindern. Genauso wenig wie die Attacke auf den Gedenkstein für die jüdische Gemeinde von Löcknitz. Mit einer Spitzhacke oder ähnlichem müssen die Täter über 30 Mal auf den Stein mitten im Ort eingeschlagen haben. Das Denkmal in Form eines jüdischen Kerzenhalters war gerade erst restauriert worden. Bereits im Juli diesen Jahres und im August letzten Jahres wurde der Stein von Unbekannten geschändet. In Anklam erinnerten Unbekannte unterdessen am 9. November mit einem Transparent an den Hitlerputsch von 1923 als "Tag der nationalsozialistischen Erhebung" .

Deutsche Alleen

Die Aktionen der letzten Wochen und Monate sind mit der Kontinuität der letzten Jahre zu erklären. In Vorpommern bewegen sich Neonazis seit der Wende in einem Klima der Anerkennung, zumindest des Wegschauens. Die Taktik Repression, beispielsweise in Form einiger Hausdurchsuchungen, mit der die Polizei wirksam werden will, wird daran nichts ändern. Zumal es die einzige Taktik der Landesregierung ist. Die Rechten wechseln mühelos zwischen legalem und illegalem Terrain. Sie sind nicht die oft beschworenen Randgruppe, sondern finden inhaltlich und organisatorisch Unterstützung in der Mitte der Gesellschaft. Und es gibt nur wenige in Vorpommern die dagegen aktiv werden - wie gefährlich das ist, beweisen die Gewalttaten der letzten Jahre oder aktuell die Neonazi-Aufkleber auf Briefkästen linker Jugendlicher in Wolgast.

Allein die vorpommerschen Bäume stoppen offensichtlich immer mehr Rechte. Holzrunen statt der üblichen Kreuze zeugen davon, dass auch der Tod politisch besetzt wird. Für einen verunfallten "Kameraden" inserierten Neonazi-Organisationen gar Todesanzeigen in der Lokalpresse.

Nun, "Bäumepflanzen" wird sich kaum als antifaschistische Strategie durchsetzen. Mehr als bisher sollten dagegen in Vorpommern Neonazi-Akteure benannt und Strukturen aufgedeckt werden, um ein "Weiter so" zumindest zu behindern. Besonderer Aufmerksamkeit ist dabei auf die Schnittmengen von BürgerInnen, Politik und Rechtsaußen zu richten.